Das Bernsteinerbe
länger in Ruhe lassen können. Er braucht alle Kraft, um überhaupt wieder zur Besinnung zu gelangen.«
»Was ist mit Mathias?« Helmbrecht trat auf sie zu. »Wieso ist er hier? Hat er die Kurfürstlichen etwa verlassen? Wann? Und wer sind diese fremden Herren dort?«
Damit wies er auf die Schweden, die sich weiterhin mit der hageren Pförtnerin im Hintergrund herumdrückten.
»Das sind Reisende, die Mathias gefunden und hergebracht haben«, erklärte Magdalena. Die Männer nutzten die Gelegenheit, sich zu empfehlen. Ihre Anwesenheit war nicht mehr vonnöten. Auch die Pförtnerin verzog sich aus der Halle.
»Wieso soll Mathias die Kurfürstlichen verlassen haben?«, wandte Adelaide sich unterdessen an Helmbrecht. »Was ist mit den Österreichern? Ich denke, Ihr habt ihn vor vier Jahren zu einem befreundeten Offizier in deren Reihen geschickt. Was habt Ihr mir verschwiegen?«
Verwirrt blickte sie von einem zum anderen. Magdalena fühlte Mitleid mit ihr, trotz allem, was sie ihrem Sohn angetan hatte. Tröstend strich sie ihr über den Arm.
»Das mit Mathias und den Kurfürstlichen ist eine ganz andere Geschichte«, fasste Carlotta sich ein Herz. »Die muss allerdings noch warten. Derzeit heißt es allein hoffen, dass er durchkommt. Es steht nicht gut um ihn.«
Damit eilte sie davon. Stolz sah Magdalena ihr nach, drückte Adelaide dabei weiter fest an sich.
»Carlotta ist eine gute Ärztin«, versicherte sie. »Du musst ihr vertrauen. Wenn es einem gelingt, Mathias zu retten, dann ihr. Sie besitzt eine ganz besondere Gabe. Das habe ich lange nicht richtig gesehen.«
»O doch, Ihr habt das alles richtig gesehen«, meldete sich Helmbrecht zu Wort. »Carlotta wird es gelingen, wie es ihr stets gelingt, alles zum Guten zu wenden. Das wisst Ihr so gut wie ich.«
Erstaunt sah Magdalena ihn an, er aber lächelte nur still in sich hinein.
Dritter Teil B
Die Probe
Am Frischen Haff
Winter 1662
11
E s wurde wohl langsam zu viel. Mehrmals ertappte Carlotta sich dabei, wie sie einschlief und ihr der Kopf vornüberkippte. Durch den Ruck nach vorn erwachte sie wieder. Der Nacken schmerzte, auch der Rücken tat ihr weh. Auch als sie ihren Schemel so verrückte, dass sie sich gegen die Wand lehnen konnte, wurde es nicht besser. Erschöpft sah sie sich in der engen Kammer um.
Das Bett, in dem Mathias lag, füllte fast den gesamten Raum aus. Ein kleiner Tisch passte am Kopfende noch hinein. Darauf flackerten Talglichter und mühten sich tapfer, etwas Helligkeit ins Dunkel zu bringen. Bizarre Schatten tanzten auf der Wand. Einige Male schon hatten sie Carlotta zutiefst erschreckt. Außer dem Tisch und dem Bett gab es nur noch den Hocker, auf dem sie saß. Zum hundertsten Mal wanderte ihr Blick durch die Kammer. Sie kannte bereits jede Unebenheit auf den grobgetünchten Wänden. Selbst das schlichte Holzkreuz oberhalb des Türstocks war ihr bis in die letzte Kerbe vertraut. Die Unebenheiten sorgten in dem dämmrigen Licht für seltsame Schatten, die seltsame Geschichten erzählten. Um die zu beenden, wollte sie am liebsten die Fensterläden vor dem kleinen Fenster an der Stirnseite weit aufstoßen. Der Kälte wegen aber mussten die dicht verriegelt bleiben. In den Hohlraum zwischen Holzläden und Glasscheiben hatte Carlotta sogar Stroh stopfen lassen. Mathias’ einzige Chance, mit dem Leben davonzukommen, bestand in ausreichender Wärme. Die Längswand des Bettes grenzte an den Kamin im benachbarten Speisesaal. Zusätzlich hatte Carlotta angeordnet, heiße Steine unter das Federbett zu schieben. Selbst nach zwei Tagen in dem aufgeheizten Bett aber hatte Mathias sein Bewusstsein noch nicht zurückerlangt. Sein Atem ging weiterhin flach, wenn auch gleichmäßig.
Carlotta wusste sich keinen Rat mehr. Ein Dutzend Mal schon hatte sie den Kranken gründlich untersucht. Äußerlich war ihm kaum mehr etwas anzusehen. Die Erfrierungen im Gesicht waren schnell verheilt, auch an den Fingern gingen die Schwellungen zurück. Die Haut verlor langsam, aber stetig die blauroten Verfärbungen. Carlotta wischte sich die Stirn. Sie selbst schwitzte dank der hohen Temperatur in dem kleinen Raum unablässig. Als wäre das ein Zeichen, hörte sie, wie nebenan das Feuerholz im Kamin nachgelegt wurde. Adelaide beaufsichtigte höchstpersönlich diese Tätigkeit. Das war das Einzige, was Carlotta ihr derzeit zu Mathias’ Wohl zubilligte.
Um sich wach zu halten, ging sie im Geist Rezepturen durch. Haargenau rief sie sich Magdalenas
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