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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Aufzeichnungen aus dem kleinen Buch ins Gedächtnis. Da waren zum einen die bitteren Tropfen, eine Art Ergänzung zum Theriak, wie ihn viele Apotheker anboten. Allein die besondere Mixtur des Frankfurter Doktor Petersen ließ Magdalena als Grundlage gelten, ihre Tropfen zum Lebenselixier zu machen. Dabei umwehte doch auch das Rezept aus Pantzers Löbenichter Apotheke der Geruch des Außergewöhnlichen. Carlotta beschloss, ihn nach ihrer Rückkehr einmal als Grundlage auszuprobieren – wenn sie überhaupt je in den Kneiphof zurückkehren würde, durchzuckte es sie bitter. Rasch zählte sie sich zur Ablenkung verschiedene Tinkturen gegen harmlose Zipperlein wie Gliederreißen, Magendrücken oder eingewachsene Nägel auf. Dem ließ sie Rezepturen für Salben folgen, die offene Wunden heilten. Rote Mennige, Terpentin, Silberglett, Kampfer und Rosenöl gehörten als Bestandteile bei nahezu allen dazu. Auch Baumöl und venezianische Seifen waren eine gute Grundlage für solche Pflaster. Mit Johannisblumen und Kamillenblüten als Beigabe wurde die Heilung meistenteils beschleunigt. Hanf-, Leinsamen-, Rosen- und Lilienöl bildeten eine geeignete Mischung, gegen Brandwunden vorzugehen. Diese Öle hatte sie auch auf Mathias’ erfrorene Nasenspitze und Finger gestrichen. Gleich stand ihr die Wundersalbe vor Augen.
    Beim Gedanken an diese vortreffliche Mixtur musste sie an die jüngsten Ereignisse am Pregel denken. Apotheker Heydrich trat ihr in all seiner Boshaftigkeit allzu klar vor Augen. Wie hatte sie ihm nur je vertrauen können! Ihre Finger glitten auf die Stelle zu ihrer Brust, an der einst der Bernstein gehangen hatte. Wieder fühlte sie die Leere, die das honiggelbe Stück hinterlassen hatte. Doch statt Wut erfasste sie auf einmal eine unstillbare Sehnsucht nach Christoph, der sie dieses Schatzes beraubt hatte. Durch seine Liebe konnte er diese Übeltat wiedergutmachen. Mit ihm zusammen würde es ihr gelingen, Heydrichs Siegeszug zu verhindern. Inständig wünschte sie ihn herbei, wollte mit ihm reden, alle Missverständnisse ausräumen und die gemeinsame Zukunft planen. Bestimmt wusste er auch einen Rat, wie sie Mathias helfen konnte. Es war verrückt! Eigentlich sollte sie sich freuen, wie schlecht es dem Vetter ging. Allein sein Auftauchen im Kneiphof Ende Oktober hatte alles Übel ausgelöst. Dadurch wurde sie gewaltsam von Christoph weggerissen, ihre Pläne mit ihm von jetzt auf gleich zunichtegemacht. Sollte sie sich also Mathias’ Tod herbeiwünschen? Es wäre so einfach. Nein! Ein Ruck ging durch ihren zierlichen Körper. Kerzengerade richtete sie sich auf dem Schemel auf. Mathias sterben lassen, das konnte sie nicht.
    Verzweifelt wanderte ihr Blick zu dem kahlen Holzkreuz oberhalb der Tür. Von dort kam kein Zeichen. Draußen im Flur rumorte es. Gewiss ging es auf die Essenszeit zu. Nebenan wurde der Saal gerichtet. Nonnen trippelten vorüber, die energischen Schritte Adelaides mischten sich darunter. Mit ihrer dunklen Stimme erteilte sie Anweisungen. Vor Mathias’ Krankenstube verharrte sie. Carlotta hielt den Atem an. Nur das Holz der Tür trennte sie voneinander. Ihr war, als hörte sie Adelaide Luft holen, die Hand heben und an die Klinke fassen. Wagte es die Tante tatsächlich, sich dem Verbot zu widersetzen und zu ihrem Sohn hereinzukommen? Der Augenblick dehnte sich zu einer Ewigkeit. Carlotta spürte, wie sich der Schweiß auf ihrem Gesicht zu Tropfen formte, die langsam über Nase und Wangen rannen. Draußen vor der Tür meinte sie, einen Seufzer zu hören. Etwas raschelte. Tante Adelaide drehte sich offenbar um und ging davon.
    Carlotta wagte wieder, sich zu bewegen, wischte sich das feuchte Gesicht. Sie brauchte einen Hinweis, was sie tun sollte. Starb Mathias vor ihren Augen, würde sie sich das nie verzeihen. Dann hatte sie als Ärztin versagt. Was aber, wenn er erwachte und sie ansah? Wie wollte sie ihm begegnen? Noch vor wenigen Wochen in Königsberg hatte sie ihm versprochen, über Helmbrecht Kontakt zu seiner Mutter aufzunehmen. Das war ihr nicht gelungen. Zu Recht hatte er ihr das angekreidet. Dennoch ertrug sie die Vorstellung nicht, ihm nun von Adelaides Anwesenheit nur wenige Schritte von dieser Kammer entfernt berichten zu müssen.
    Noch etwas beschwerte ihr Gemüt: Christoph war unerreichbar weit fort. Und mit ihm die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden würde.
    Wieder wurde es laut vor der Tür. Carlotta zog die Augenbraue hoch. Schon erwog sie, hinauszugehen und um mehr Ruhe

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