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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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der Nase sowie auf den Wangen, zeigten sich Verfärbungen und Blasen, die auf Erfrierungen hindeuteten. Vorsichtig legte sie ihm die Hände auf die Brust und begann, ihn behutsam abzutasten. Knochenbrüche oder stumpfe Verletzungen konnte sie nicht ausmachen, die Gliedmaßen waren auch nicht ungewöhnlich verrenkt. Die Finger aber schienen dick geschwollen. Auch das mochte von der eisigen Kälte herrühren. Carlotta legte das Ohr auf den Brustkorb, horchte, wie das Herz pochte. An ihrer angestrengten Mimik las Magdalena ab, wie schwer das Schlagen zu hören war. Mathias’ Atem ging erschreckend flach. Abschließend wandte sich Carlotta seinem Kopf zu, hob die Lider. Die Pupillen blickten starr. Sie befühlte den Hals. Schließlich ließ sie ihre Hand ausgestreckt auf der Stirn ruhen. Magdalena behielt sie auch dabei aufmerksam im Auge, verfolgte jede ihrer Bewegungen. Eingedenk ihrer Erfahrungen aus dem Großen Krieg wusste sie nur zu gut, was in der Tochter vorging: Die Wärme, die sie dem Kranken mit der Hand spendete, regte etwas in ihm. Wie gern hätte sie einen Bernstein zur Hand gehabt und Carlotta als Kraftquelle ans Herz gedrückt. Schmerzlich wurde ihr bewusst, dass das nicht möglich war. Christophs unverzeihlicher Wutausbruch hatte sie eines ganz besonderen Steins beraubt. Bis sie einen ähnlichen finden würde, musste es ohne gehen. Carlotta hatte das Zeug, es zu schaffen.
    »Wahrscheinlich hat er lange in der Kälte gelegen. Wir sollten ihn in ein Bett bringen und wärmen. Mehr können wir vorerst nicht tun.« Carlotta nickte den Männern zu, die sich sogleich anschickten, Mathias aufzuheben.
    »Passt auf. Er darf nicht viel bewegt werden«, wies sie die Fremden an und fragte gleich die Pförtnerin: »Wo können sie ihn hinbringen? Er braucht einen Raum, der gut zu heizen ist.«
    Die hagere Frau weit in den Fünfzigern klapperte mit einem Schlüsselbund. Gleichzeitig mahlten ihre Kiefer gegeneinander, als ließe sich dadurch das Denken beschleunigen.
    »Ich zeige Euch den Weg«, knurrte sie und wandte sich einem zweiten Flur zu, der von der Eingangshalle nach Osten führte. Auf Carlottas Zeichen hin setzten sich die fünf Männer mit ihrer Last in Bewegung.
    »Lasst meine Sachen holen«, bat Carlotta Hartung, der unfähig schien, auch nur einen Mucks von sich zu geben. »Fürs Erste werde ich hier im Spital bleiben und mich um Mathias kümmern.«
    Magdalena nickte zustimmend. Erst jetzt regte sich Hartung. »Ich gehe selbst und bringe Euch das Gewünschte«, erklärte er, hüllte sich in seinen Mantel und eilte davon.
    »Wir beide gehen am besten in deine Apotheke«, wandte sich Magdalena an Adelaide und drehte die zitternde Base zum Flur Richtung Offizin hin. »Solange Mathias nicht bei Bewusstsein ist, gibt es nichts für uns zu tun. Carlotta wird bei ihm wachen und Bescheid geben, wenn sich etwas ändert. Sie ist eine gute Ärztin. Sie hat etwas, was die Patienten spüren lässt, wie wohl sie ihnen tut.«
    Adelaide zögerte. Magdalena verstärkte den Druck auf ihren Arm, raunte leise: »Bitte!« Auch einige Nonnen erwachten nun aus ihrer Starre.
    »Geht nur, Verehrteste«, erklärte eine Alte mit runzeligem Gesicht. »Wir werden für den Mann beten, wer immer es auch ist. Gott, der Allmächtige, wird ihm gnädig sein.«
    »Und die Heilige Jungfrau Maria!«, ergänzte eine zahnlose andere, während eine Jüngere entschieden erklärte: »Auch der heilige Nikolaus, dessen Namenstag wir heute begehen, wird sich seiner erbarmen. Er steht den Schiffsleuten und Reisenden schützend zur Seite.«
    Damit verschwanden die Nonnen im selben Gang, den auch die Pförtnerin mit Mathias und Carlotta sowie den fremden Schweden eingeschlagen hatte.
    »Sie gehen zur Sankt-Annen-Kapelle«, sagte Adelaide, als müsste sie Magdalena erklären, was vor sich ging. »Angesichts des Jüngsten Gerichts, das dort an der Seitenwand prangt, finden sie immer die richtigen Worte, direkt mit den Heiligen im Himmel und Gott, dem Allmächtigen, zu sprechen.«
    Verwundert schüttelte Magdalena sacht den Kopf. Woher auf einmal dieses Festhalten an den Heiligen? Adelaide war doch früher protestantischen Glaubens gewesen? Sollten die Nonnen im Heilig-Geist-Spital sie bekehrt haben? Oder waren es gar die furchtbaren Ereignisse bei Thorn vor vier Jahren, die sie Zuflucht im katholischen Glauben hatten suchen lassen? Nein, widersprach sie sich selbst. Wohl eher lag es am überraschenden Wiedersehen mit Mathias. Den einzigen Sohn nach all den

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