Das Bernsteinerbe
Stadttor hinausträgt?« Steutner klappte das Güterbuch zu. »Vielleicht sollten wir dieses Mal so tun, als ginge bei uns eine Rattenplage um. Die kleinen hässlichen Nager treiben die Kurfürstlichen sicher schnell wieder aus der Stadt. So tapfer können Friedrich Wilhelms Truppen nicht sein, wenn sie letztens schon beim Anblick von drei Särgen das Weite gesucht haben.« Herausfordernd sah er erst die beiden älteren Schreiberkollegen an, dann zwinkerte er Carlotta zu.
»Trotzdem kein Anlass zur Sorge. So einfach lassen wir die Blauröcke nicht in die Stadt.« Egloff klatschte in die Hände. »Also vergessen wir für einen Moment das Donnern und Schießen und machen uns wieder an die Arbeit. Wie hat das verehrte Fräulein Grohnert eben gesagt? Ein Handelshaus lebt davon, dass die Geschäfte weitergehen. In diesem Sinn also zurück an die Arbeit, meine Herren!«
Der schnarrende Ton, in dem er das feststellte, missfiel Carlotta. Dennoch schluckte sie eine Erwiderung hinunter und ging zum Pult der Mutter. Es befand sich am Stirnende des langen schmalen Raumes auf einem niedrigen Podest. Mit halbem Ohr verfolgte sie, wie sich Egloff und Steutner über den weißen Bernstein für Petersen verständigten, während sie die Papiere auf Magdalenas Pult durchblätterte. Plötzlich brandete von neuem Aufruhr auf der Straße heran. Dieses Mal lag die Quelle in unmittelbarer Nähe des Hauses. Besorgt stürzte Carlotta zum Fenster.
Kein Kanonendonner! Sie atmete auf. Eisen schlug ohrenbetäubend laut auf Stein. Ein schwerbeladener Karren wurde mühsam über das Pflaster gezogen, die Ladung darauf schien nicht ordentlich befestigt. Unter Getöse und Gepolter rutschten die schweren Fässer hin und her. Kurz darauf ertönten aufgebrachte Stimmen, Magdalenas zierliche Gestalt eilte die wenigen Stufen des Beischlags hinauf. Dicht hinter ihr folgten der Lagerhausvorsteher Schrempf sowie Grünheide, der alte Zunftgenosse aus der Kneiphofer Kaufmannschaft. Krachend knallte die Eingangstür gegen die Hauswand, so schwungvoll stieß Magdalena sie auf. Kurz darauf öffnete sie die Tür zum Kontor.
»Wartet nur, Grünheide«, rief sie über die Schulter den nachfolgenden Männern zu. »Gleich wird sich alles klären. Ein Blick in unsere Bücher genügt, Euch sagen zu können, dass es sich bei den Fässern zweifelsfrei um den von mir bestellten Rheinwein handelt.« Eilig zog sie die schwarze Witwenschnebbe vom Kopf, löste die Schnur an der Heuke und rauschte an den Schreibern vorbei zum Pult. Kaum würdigte sie die drei Kontoristen eines flüchtigen Blickes, dabei hatten sie gleich bei ihrem Eintreten die Federn weggelegt, sich kerzengerade aufgerichtet und Spalier gestanden, bis sie ihren gewohnten Platz auf dem Podest erreicht hatte.
»Was schaut Ihr? Ist alles in Ordnung?« An ihrem angestammten Platz angekommen, drehte sie sich um und ließ den Blick ihrer smaragdgrünen Augen durch das Kontor wandern.
»Hier drinnen schon«, versicherte Carlotta und schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. »Was aber ist draußen los? Es hört sich an, als würde schweres Geschütz gegen unser Haus aufgefahren. Zuvor gab es gar echten Kanonendonner zu hören. Marschieren tatsächlich die Truppen des Kurfürsten in den Kneiphof ein?«
Neugierig sah Carlotta zur Tür. Schrempf und Grünheide hatten sich, zwei Wachposten gleich, neben den Türpfosten aufgebaut.
»Auch wenn sich die Geschütze nicht vor unserem Haus sammeln, mein Liebes, liegst du leider doch richtig.« Magdalena achtete nicht auf die erschrockenen Gesichter der Schreiber, sondern entledigte sich erst des langen schwarzen Überwurfs aus feingewirkter Wolle und hängte ihn sorgsam auf den Haken an der rückwärtigen Wand, bevor sie weitersprach: »Das Unglaubliche ist tatsächlich geschehen: Am frühen Morgen hat Kurfürst Friedrich Wilhelm seine Truppen in Königsberg einmarschieren lassen. Dreitausend Mann hat er aufgeboten. Die Geschütze in der Feste Friedrichsburg sollen direkt auf den Kneiphof gerichtet sein. Fürst Radziwill und die Oberräte haben den Kurfürsten bereits im Spittelhof feierlich willkommen geheißen. Unter großem Getöse sind sie anschließend mit ihm ins Schloss in der Altstadt eingezogen. So frech die dortige Bürgerschaft noch vor wenigen Tagen getönt hat, man werde ihn nicht hereinlassen und unseren widerspenstigen Kneiphofer Schöppenmeister Hieronymus Roth bis aufs Blut verteidigen, so beflissen haben sie vor kaum einer Stunde vor Friedrich Wilhelm die
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