Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
Knie gebeugt. Der Kanonendonner, den du gehört hast, mein Liebes, war der ehrerbietige Salut, den man ihm eben erwiesen hat. Als Grünheide, Schrempf und ich mit dem Fuhrwagen voll Wein auf dem Weg vom Hundegatt hierher davon erfahren haben, haben wir uns gleich noch mehr beeilt, heimzukommen. Niemand weiß, was als Nächstes geschieht, wie es auf dem Landtag drüben im Schloss weitergeht oder was der Kurfürst wirklich im Schilde führt. Roth soll sich übrigens in seinem Haus hinten bei der Albertina verschanzt haben. Sicher wird es nicht lange dauern, und der Kurfürst lässt auch davor aufmarschieren. Gott, wie ich dieses hirnlose Säbelgerassel hasse! Dabei geht es nur um Geld, das der eine von den anderen haben will. Da wird sich doch ein Ausweg finden lassen, ohne dass man gleich schweres Geschütz auffahren muss! Nimmt das mit all den Kriegen und Schlachten nie ein Ende? Wer hätte gedacht, dass sich eines Tages die eigenen Landsleute mitten in unserer Stadt wie Feinde gegenüberstehen?«
    »Unfassbar!«, entfuhr es Carlotta, die unverwandt auf die rotgelockte schmächtige Gestalt am vorderen Pult starrte. In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Wenn die Mutter recht hatte, musste sie los, auf der Stelle. Gewiss dauerte es nicht lang, bis es zu ersten Gefechten und somit auch zu Verwundeten kam. Dringend wurden Wundärzte gebraucht, insbesondere solche, die sich mit Kriegsverletzungen auskannten. Davon aber gab es in allen drei Städten am Pregel viel zu wenig. Leute wie Koese konnten Zähne ziehen, zur Ader lassen und den Steinschnitt durchführen. Auch eine Stichwunde zu nähen, gelang ihnen noch leidlich. Dann aber versagte ihre Kunst. Im Großen Krieg hatte sich ihre Mutter als »die rote Magdalena« einen legendären Ruf als Feldscherin erworben. Seit dem Tod des Vaters lehnte sie es jedoch ab, das einst bei Meister Johann erlernte Handwerk auszuüben. Damit war klar, wer zum Einsatz kommen musste. Carlottas Herz schlug schneller. Auch Christoph zögerte gewiss nicht, sich den Herausforderungen zu stellen, ob das einem studierten Medicus anstand oder nicht. Schon sah sie vor sich, wie sie beide während des Gefechts zwischen Kurfürstlichen und Kneiphofer Bürgerwehr Seite an Seite bis tief in die Nacht hinein Schussverletzungen versorgten, klaffende Wunden nähten, Knochenbrüche schienten und gar Gliedmaßen amputierten. Das waren Heldentaten, mit denen sie sich hier in Königsberg einen Ruf als Wundärztin machen konnte. Die Mutter würde stolz auf sie sein!
    Draußen schwoll der Lärm abermals an. Rufe ertönten, Befehle wurden erteilt, Widerworte gegeben. Die Schreiber im Kontor wurden unruhig. Egloff sortierte fahrig die Federn auf seinem Pult, Steutner scharrte mit den Füßen, und Breysig schnaubte immerzu. Auch Schrempf und Grünheide taten sich schwer, an ihren Posten an der Tür auszuharren. Noch bevor Carlotta zu den Fenstern eilen und hinausschauen konnte, hörte sie ein entschiedenes Pochen an der schweren Tür, gleich darauf Hedwigs schlurfende Schritte, dann Christophs tiefe Stimme. Gerade noch konnte sie einen Freudenjauchzer unterdrücken. Er kam also tatsächlich, um sie um Unterstützung zu bitten!
    »Mutter, ich muss los. Ich werde draußen gebraucht.«
    Zielstrebig stürzte sie zu der gegenüberliegenden Wand und steuerte ein bestimmtes Regalfach an, in dem sie die Wundarzttasche mit den Instrumenten, Salben und Pflastern aufbewahrte.
    »Nein!« Magdalena stellte sich ihr in den Weg. »Du bleibst hier, mein Kind. Ich habe dir letztens schon gesagt: Verwundete haben wir genug zusammengeflickt. Das dort draußen in der Altstadt geht uns nichts an. Wir sind Kaufleute. Dein Platz ist hier im Kontor!«
    Die grünen, leicht schräg stehenden Augen in dem schmalen, spitz zulaufenden Gesicht funkelten, die schmalen Lippen bildeten einen geraden Strich.
    »Ich gehöre nicht ins Kontor!«, setzte Carlotta zum Widerspruch an. »Ich …« Weiter kam sie nicht. Die schwere Eichentür schwang auf, und sie fuhren beide herum. Christophs aschblondes Haupt strahlte im goldenen Vormittagssonnenlicht, seine ungewöhnlich glatte, zarte Haut verlieh ihm ein jungenhaftes Aussehen. Der ernste Ausdruck der grauen, leicht aus den Höhlen quellenden Augen passte jedoch ebenso wenig dazu wie die tiefe Stimme, mit der er die Anwesenden grüßte. Breitbeinig stellte er sich hin und hakte die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner modisch weiten Hosen. Mit seiner kräftigen Figur füllte er den gesamten

Weitere Kostenlose Bücher