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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Welch vergebliche Mühe!, durchfuhr es Lina bedauernd. Wahrscheinlich rührte keiner die Köstlichkeiten an, weil allen der Appetit vergangen war. Ein Ausruf in der Wohnstube erinnerte sie an das Geschehen hinter der Tür. Fest presste sie das Ohr gegen den Flügel. Magdalena Grohnert und Helmbrecht sprachen so leise miteinander, dass Lina nichts verstehen konnte. Der Kurfürstliche schwieg. Dann aber rief Magdalena so laut, dass Lina zusammenzuckte: »Mathias, so antworte uns doch endlich!«
    Die Magd begann zu begreifen: Bei dem Blaurock handelte es sich um Carlottas ersten Burschen! Gewiss war er zurückgekehrt, um sie zu holen. Kein Wunder, dass alle so entsetzt waren. Und obendrein trug er die Uniform Friedrich Wilhelms. Offenbar gehörte er zu den Dragonern, die am Mittag den tapferen Hieronymus Roth festgenommen hatten. Das setzte allem die Krone auf.
    Lina überlegte nicht lang. Zwei Stufen auf einmal nehmend, sprang sie die Treppe hinunter, pfefferte die schweren Holzpantinen in die Ecke, bückte sich zu einem Paar Lederschuhe, das eigentlich zu eng für ihre breiten Bauersfüße war, und schnappte sich einen dicken Wollumhang vom Haken neben der Hintertür.
    »Wo willst du hin?« Schnaubend verstellte Hedwig ihr den Weg.
    »Carlotta schickt mich, einen dringenden Botengang zu erledigen«, log sie, warf den Umhang über das strohblonde Haar und zwängte sich an Hedwig vorbei.
    Ihr Herz raste vor Aufregung, als sie an der missmutigen Köchin vorbei nach draußen gelangt war, wo ihr der eisige Oktoberwind in die Wangen biss.
    Sie rannte los. Die Steinstufen des Beischlags waren gefährlich glatt. Mit zittrigen Knien gelangte sie auf die Langgasse und stemmte sich gen Norden, dem Wind entgegen, in das Schneegestöber hinein. Zum Glück war ihr der Weg über die Krämerbrücke und am Fischmarkt entlang des Pregelufers blind vertraut. Die leergefegten Gassen und gespenstisch vernagelten Krämerbuden schreckten sie nicht. Nicht einmal das unheimliche Jaulen des Windes jagte ihr sonderlich Angst ein. Alles, was sie fürchtete, war, nicht rechtzeitig zu dem jungen Medicus in die Schmiedegasse zu gelangen oder ihn gar nicht erst dort anzutreffen.
    Auf einer zugefrorenen Pfütze geriet sie ins Rutschen und brach mit dem Fuß ein. Natürlich hatte sie vergessen, Patten unterzuschnallen. Auch wärmendes Stroh fehlte in den engen Schuhen. Das rissige Leder sog sich voll mit ekligem, kaltem Nass. An der Schmiedegasse erwartete sie weitere Unbill. Verwirrt stoppte sie mitten im Laufen, prallte gegen eine Stufe einer weit in die Gasse hineinragenden Steintreppe und fiel der Länge nach in den halb gefrorenen, halb aufgeweichten Straßendreck. Mit klammen Fingern wischte sie den groben Dreck von ihrem Wollrock und zupfte sich Schneekristalle aus den Haaren.
    Als sie den Blick hob, packte sie schiere Verzweiflung. Haus an Haus reihte sich in der Schmiedegasse eng aneinander, gelegentlich unterbrochen von einem im Wind klappernden Baugerüst oder einer halb in die Höhe gezogenen, neuen Wand für den Überbau eines Beischlags. Zwar mochten die Gebäude eine Spur weniger protzig als die Kaufmannshäuser drüben im Kneiphof sein, doch beeindruckend waren sie allemal. Vor allem glichen sie einander bestürzend! Nach Atem ringend, ließ Lina ihren Blick umherschweifen, versuchte, trotz Dunkelheit und Schneeregens Einzelnes zu unterscheiden. In welchem der Häuser mochte der ehrwürdige kurfürstliche Leibarzt Ludwig Kepler wohnen? Für einen Herrn seiner Stellung schien das eine genauso angemessen wie das andere. Schon verfluchte sie den Tag, an dem sie es als Magd im Grünen Baum abgelehnt hatte, die Wirtin zum Medicus zu begleiten. Zögernd setzte sie ihren Weg fort, musterte prüfend die düsteren Hausfassaden. Kein Hund drückte sich zwischen den Mauern oder Treppen herum, auch die Katzen hatten sich hinter die wärmenden Herdfeuer verzogen.
    Die heranmarschierenden Studenten bemerkte sie erst, als sie fast mit ihnen zusammenstieß.
    »Wohin des Wegs bei diesem unwirtlichen Wetter?«
    »Ist es nicht reichlich spät für ein ehrbares Fräulein wie Euch, allein durch die Straßen zu irren?«
    »Vielleicht können wir helfen?«
    »Ja, lass dir unter die Arme greifen, schönes Kind, um den rechten Weg zu finden.«
    »Ich greife dir lieber unter den Rock.«
    »Eine gute Idee! Ich weiß auch schon, wohin ich dich führe.«
    Die Kameraden schenkten dem Wüstling für sein Vorpreschen freches Gelächter.
    »Los, los, worauf warten wir

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