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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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eigentlich?«, fragte ein anderer.
    »Gleich biegen die Stadtknechte um die Ecke und schnappen uns die Beute weg.«
    »Keine Sorge«, beschwichtigte der Erste. »Heute kommen die bestimmt nicht. Die kurfürstlichen Dragoner haben ihnen zu viel Angst eingejagt.«
    »Dann nichts wie ran an den Speck! Wenn die Kurfürstlichen erst auftauchen, kommen wir bestimmt nicht mehr zum Zug. Die schnappen uns den Braten glatt vor der Nase weg!«
    Johlend und feixend umringte das halbe Dutzend Burschen Lina. Sie zitterte, empfand allerdings weder Angst noch Kälte. Wut war alles, was sie in diesem Moment spürte. Sie ballte die Fäuste, bis die Knöchel schmerzten, und schrie lauthals los.
    In der engen Gasse hallte der Schrei wider, verfing sich im verwinkelten Gemäuer. Selbst der Wind schien sich ihm zu beugen und bereitwillig für eine Weile zu verstummen. Fenster und Türen schlugen auf, Köpfe schauten heraus. »Was ist los?«, rief eine Männerstimme.
    Die Studenten erstarrten, sahen ebenso erschrocken wie eben noch Lina die Schmiedegasse hinauf. Der Erste tippte den nächststehenden Kommilitonen am Arm, kurz wechselten sie Blicke. Dann stürmten sie davon.
    »Braucht Ihr Hilfe?«, erbarmte sich eine Alte an einer Tür im übernächsten Haus und winkte Lina heran.
    »Danke«, rief sie, erfreut über die ungewohnt respektvolle Anrede. In wenigen Schritten erreichte sie den Vorbau. Helles Licht fiel aus der Tür hinaus auf die Steinplatten des Beischlags. Die Frau lehnte am Türrahmen und streckte ihr besorgt die Hand entgegen. Als sie begriff, dass sie kein bürgerliches Fräulein, sondern eine einfache Magd vor sich hatte, verschloss sich ihre Miene.
    »Ich suche Medicus Kepler. Könnt Ihr mir sagen, wo ich sein Haus finde?«, nutzte Lina beherzt den letzten Moment, in dem sie noch mit Beistand rechnen durfte.
    »Ist es so schlimm?« Die Frau zog ihr Tuch enger um die Schultern. Flink schob sie die Hände zum Wärmen unter die Achselhöhlen. Ungebührlich lange starrte sie Lina an. Der dreckbespritzte Aufzug erregte ihr Missfallen, gleichzeitig lockte sie die Aussicht auf eine interessante Geschichte. »Wo hast du dich denn herumgetrieben? Den Medicus findest du drei Häuser weiter auf derselben Seite. Wenn du dir aber einbildest, der junge Kepler nimmt sich einer wie dir an, liegst du falsch. Und der Alte wird eine wie dich wohl gar nicht erst empfangen. Wenn ich dir also einen Rat geben darf, Kindchen«, ein letztes Mal wanderte ihr Blick über Lina, verharrte auf ihrem drallen Leib, »mit so was wendet man sich nicht an den Stadtphysicus, erst recht nicht an den ehrbaren Leibarzt unseres Kurfürsten. Geh rüber in den Löbenicht oder ins Tragheim. Da findest du genügend Frauen, die solchen wie dir beistehen.« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und schlug Lina die Tür vor der Nase zu.
    »Danke«, murmelte Lina trotzig. Enttäuscht wischte sie sich mit den Handrücken die Wangen ab, klopfte den Dreck vom Rock und stopfte die strohblonden Haare zurück unter das Tuch. So marschierte sie erhobenen Hauptes die Schmiedegasse weiter hinauf, auf das Haus des kurfürstlichen Leibarztes zu.
    »Der junge Herr ist nicht zu sprechen«, versuchte die Wirtschafterin ebenfalls, sie gleich auf der Schwelle abzuwimmeln. Flink klemmte Lina den Fuß zwischen die Tür. »Ich muss aber dringend zu ihm. Meine Herrin hat mich geschickt. Sagt ihm, ich komme von Carlotta Grohnert aus dem Kneiphof. Ihr werdet schon sehen, wie rasch er für mich zu sprechen ist.«
    »Da könnte ja jede kommen«, murrte die Alte, versuchte allerdings nicht mehr, ihren Fuß aus der Tür zu schieben.
    »Marthe, was ist? Schließ die Tür, mich friert«, knurrte eine dunkle Männerstimme. Über die Schulter der Wirtschafterin hinweg erkannte Lina einen älteren Herrn, bei dem es sich zweifelsohne um den Stadtphysicus handelte.
    »Carlotta Grohnert schickt mich mit einer wichtigen Nachricht für Euren Sohn«, rief sie rasch in die hell erleuchtete, vom knisternden Herdfeuer angenehm warme Diele.
    »Carlotta Grohnert? Doch nicht etwa die Tochter der Bernsteinhändlerin? Oder besser: der vormals so berühmten Wundärztin?« Höhnisch betonte Kepler die letzten Worte. »Sag deiner Herrschaft, über Wundermittel können wir uns gern am helllichten Tag unterhalten. Um diese späte Stunde empfange ich nicht mehr – und erst recht nicht auf Zuruf aus dem Kneiphof. Dasselbe gilt natürlich auch für meinen Sohn. Wäre ja noch schöner, wenn wir springen, sobald die

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