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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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geschrieben.
    »Lass ihn gehen«, bat Carlotta Mathias mit Nachdruck. »Seine Verletzungen sehen schlimmer aus, als sie sind. Das werde ich zu Hause rasch versorgt haben. Du hilfst ihm am besten, wenn du nicht weiter nachfragst. Es ist schlimm, was die älteren Semester mit den jüngeren anstellen. Noch schlimmer aber wird es, wenn sich die Ordnungskräfte einmischen. Die Pennäler werden ihn spüren lassen, was Verrat bedeutet, solltest du sie zur Rede stellen.«
    »Seine Kommilitonen haben ihn so zugerichtet?« Ungläubig schüttelte Mathias den Kopf und blickte dann suchend die leere Gasse entlang, als hoffte er, irgendwo noch einen Übeltäter zu erspähen. Carlotta begriff, wie dünn ihre Geschichte für ihn klingen musste. Er grinste bereits mehrdeutig. »Du hast natürlich recht! Wie konnte ich auch nur auf die Idee verfallen, dein geliebter Medicus hätte sich wieder einmal nicht beherrschen können?«
    »Red keinen Unsinn! Du weißt genau, dass ich die Wahrheit sage.« Sie warf ihm einen mahnenden Blick zu, zupfte den Studenten am zerfetzten Mantelärmel. »Wir gehen jetzt besser weiter. Es wird wirklich Zeit, dass ich Eure Wunden verbinde.«
    »Gut«, stimmte er dankbar zu und marschierte los.
    »Du hast dich nicht verändert«, sagte Mathias und hielt sie am Arm zurück.
    »Was man von dir leider nicht behaupten kann«, erwiderte sie schroff und riss sich los.
    Den Schal um die rotblonden Locken gebunden, den Mantel eng um die schmächtige Brust gezogen, hastete sie dem Studenten hinterher. Sie musste sich sputen.
    »Warte!«, eilte Mathias ihr nach. Sie hörte die schweren Stiefelschritte dicht an ihrem Ohr. »Carlotta, bitte, ich muss dir …«
    Das Aufheulen des Windes verschluckte die letzten Worte. Sie zögerte einen Moment. Doch sie gab dem Drang nicht nach, sich umzudrehen. Frierend zog sie den Kopf zwischen die Schultern und setzte ihren Weg fort. Mathias gab schließlich auf. Sie hörte, wie er nach seinem Pferd pfiff, aufstieg und in die entgegengesetzte Richtung davonritt.
    6
    Z um Ende der Woche legte der Winter eine Pause ein. Am Freitagmorgen war nur mehr leichtes Schneegrieseln in der Luft, und im Verlauf des Vormittags klarte der Himmel ganz auf. Die milden Sonnenstrahlen leckten die letzten Schneereste von der Erde, das nasse Pflaster trocknete schnell.
    Als Magdalena nach dem morgendlichen Imbiss aus der Haustür trat, sog sie die erfrischende Luft ein. Angesichts der milden Temperatur lastete die Heuke aus dunkler schwerer Wolle schwer auf ihren schmalen Schultern. Einen Moment erwog sie, sich einen leichteren Umhang zu holen. Dann aber beschloss sie, es doch dabei zu belassen. Am Hundegatt konnte es zugig sein, ohnehin wehte zwischen den luftigen Speichern stets ein frischer Wind. Sie richtete die Witwenschnebbe aus zarter schwarzer Spitze auf dem rotgelockten Haar, prüfte den Glanz der Lederstiefel und streifte die Handschuhe über. Der tägliche Gang zum Lager wurde an diesem Freitag wenigstens von der Last des schlechten Wetters befreit. Angesichts der vielen anderen Dinge, die ihr in den letzten Tagen das Leben schwermachten, empfand sie das bereits als Wohltat. Sie zwang sich, die Sorge um Carlotta und das Bangen, was Mathias weiter im Schilde führte, eine Zeitlang beiseitezuschieben. Auch die Trauer um Gerke sowie die nagende Furcht, in ihrer Kunst als Wundärztin kläglich versagt zu haben, wollte sie für eine Weile vergessen.
    »Gott zum Gruße, Verehrteste!« Eine dunkle Männerstimme schallte ihr entgegen. Zunftgenosse Grünheide erwartete sie mitten auf der Langgasse, zog den Spitzhut vom Kopf und verbeugte sich tief. »Mir scheint, ich komme gerade rechtzeitig. Darf ich Euch ein Stück des Wegs begleiten? Auf zur Börse. Bei diesem Wetter endlich mal wieder eine Pflicht, die einem Vergnügen bereitet.«
    Er lächelte breit. Der sorgfältig gestutzte graue Spitzbart wippte übermütig.
    »Zur Börse, um diese frühe Stunde?«, fragte sie erstaunt.
    »Oh, ich weiß«, entgegnete er vergnügt. »Eigentlich wollt Ihr wie jeden Morgen erst zur Lastadie gehen, um zu prüfen, ob Eure Männer fleißig die Speicher mit Nachschub füllen. Das könnt Ihr später auch noch tun. Habt Vertrauen. Eure Leute sind gewiss brav bei der Arbeit. Wenn wir uns beeilen, treffen wir jedoch pünktlich mit dem Postreiter am Grünen Tor ein. Und an der Börse gibt es gewiss Neuigkeiten, was unseren tapferen Hieronymus Roth betrifft. Oder dringt Ihr nicht darauf, zu erfahren, wie es dem Ärmsten in

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