Das Bernsteinerbe
Der junge Medicus weiß genau, welche Aufgaben ich zu erfüllen habe. Oder willst du dich jetzt doch in die Niederungen eines Wundarztes begeben und eigenhändig blutige Wunden austupfen?«, wandte sie sich vorwurfsvoll an Christoph.
»Das wäre dir vielleicht mal eine Lehre«, konnte Pantzer sich nicht verkneifen vorzuschlagen und versetzte Christoph einen gezielten Stoß mit dem Ellbogen. »Nehmt das alles nicht so ernst, mein Guter«, beschwichtigte er zugleich den Studenten, der über dem Wortwechsel noch zwei Schritte weiter zurückgewichen war. »Ihr müsst einfach entschuldigen, dass mein Freund, der Medicus, heute etwas verstimmt ist. Der eisige Ostwind hat ihm wohl die gute Laune weggeweht.«
Christoph schnaubte. Das laute Dröhnen von Hufen aus Richtung der Langgasse hinderte ihn jedoch daran, sich weiter zu empören. »Schon wieder?«, brummte er stattdessen.
»Die Preußen!«, gellte wie zur Bestätigung ein entsetzter Schrei durch die Gassen. Unter den trommelnden Hufschlägen erzitterte die Erde. Die ersten Dragoner bogen um die Ecke. Pantzer drückte sich gegen die Hauswand, als fürchtete er, zu Boden gestampft zu werden, Carlotta und der Student retteten sich auf die gegenüberliegende Straßenseite. Lediglich Christoph verharrte mitten auf der Gasse und blickte mit grimmiger Miene den Reitern entgegen.
Knapp vor ihm zügelte der vorderste Dragoner sein Ross. Der Rappe stieg kurz auf und kam unruhig auf der Stelle tänzelnd zum Stehen. Carlotta erblasste. Mathias.
»Was ist jetzt schon wieder los?«, rief er unfreundlich von oben herab und schwang sich aus dem Sattel. Gleichzeitig bedeutete er seinen Soldaten mit einem lässigen Winken, langsam weiterzureiten. Er hatte Christoph sogleich erkannt.
»Nichts, was Euch aufhalten sollte.« Christoph rückte sich den Hut tiefer in die Stirn und streckte den Arm nach Pantzer aus. »Los, Caspar, gehen wir. Unsere kleine Wundärztin braucht uns jetzt gewiss nicht mehr. Einen Studenten und einen Kurfürstlichen gleichzeitig vor sich zu haben, dürfte selbst ihr genügen.«
»Christoph! Was soll das?«, rief Carlotta. Doch der schenkte ihr keine Beachtung. Pantzer dagegen war zu sehr damit beschäftigt, seinen Freund verwundert anzustarren, als dass er sich um sie zu kümmern vermochte.
»Reißt Euch zusammen!« Drohend blickte Mathias auf den Medicus herab.
Christoph war ein gutes Stück kleiner als er, reckte jedoch furchtlos den Kopf und fragte in aufreizendem Ton: »Ihr wollt mir doch nicht etwa befehlen? Mit welchem Recht? Ich bin ein freier Bürger der Altstadt. Im Gegensatz zu Euren Soldaten unterstehe ich nicht Eurem Kommando. Vergesst das besser nicht. Oder wollt Ihr mir wieder an die Kehle?« Aufreizend riss er den Mantel auf und streckte Mathias den nackten Hals entgegen. Um dessen Mundwinkel zuckte es verräterisch. Er rührte sich jedoch nicht. Nach einer quälend langen Ewigkeit schloss Christoph den Mantel wieder und stapfte davon, ohne Carlotta noch eines einzigen Blickes zu würdigen.
»Was soll das?« Pantzer sah Carlotta fassungslos an.
Der Student war vor Schreck erstarrt, Mathias dagegen bebte vor Wut. Immer wieder ballte er die Fäuste.
»Geht ihm nach, Pantzer, bitte«, wisperte Carlotta. »Ich komme schon allein klar.«
»Seid Ihr sicher?« Zweifelnd runzelte der Apotheker die Stirn. Als sie nickte, tätschelte er ihr ermutigend den Arm und hinkte, so schnell er konnte, Christoph hinterher.
»Was ist hier eigentlich passiert?«, besann sich Mathias auf seine Soldatenwürde und musterte die zerrissene Studentengestalt. »Hat Kepler Euch so zugerichtet? Wollt Ihr ihn deswegen belangen? Nur zu, sagt mir freiheraus, was geschehen ist. Es soll Euer Schaden nicht sein.«
Nun war es an Carlotta, verblüfft zu sein. Viel zu langsam dämmerte ihr, was Mathias im Schilde führte. Gerade, als sie zu einer Erklärung ansetzte, kam ihr der Pennäler zuvor.
»Da müsst Ihr etwas missverstanden haben, Herr. Der Medicus hat mir nichts zuleide getan. Ganz zufällig ist er mir gerade begegnet und hat mich auf mein Aussehen angesprochen. Hier, schaut, wie es um mich bestellt ist. Ich bin eben auf dem Schnee ausgerutscht und unglücklich gestürzt. Das verehrte Fräulein hat mir ihre Hilfe angeboten, weil sie Wundärztin ist. Wir sind unterwegs zu ihrem Haus, wo sie Verbandszeug und Pflaster hat. Es verhält sich alles viel harmloser, als es den Anschein haben mag.«
Seiner Versicherung zum Trotz stand ihm die Angst deutlich ins Gesicht
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