Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
hilflos.
    »Macht Euch keine Gedanken«, wiegelte Carlotta ab. »Es ist doch nichts geschehen. Die arme Frau ist wirr im Kopf. Kommt weiter. Wir sollten nicht warten, bis wir hier festgefroren sind.«
    Es drängte sie nach Hause. So schwer waren die Verletzungen des Studenten nicht, dass sie besondere Rücksicht nehmen musste. Seine zerrissene Kleidung und der barhäuptige Schädel ließen es eher angeraten sein, rasch ins Warme zu gelangen. Eine Erkältung oder gar ein Fieber sollte er sich nicht zuziehen. Ungeduldig hob Carlotta den Kopf, um abzuschätzen, wie weit es noch bis zur Langgasse war. Da erstarrte sie.
    Nur wenige Schritte entfernt, gleich an der nächsten Ecke, von der rechts hinüber die Hofgasse abzweigte, erspähte sie die Umrisse zweier Gestalten. Zwar hatten sie ihre breitkrempigen Hüte zum Schutz gegen Wind und Schnee tief ins Gesicht gezogen, dennoch zweifelte sie keinen Augenblick, um wen es sich handelte: um Christoph und seinen Löbenichter Apothekerfreund Caspar Pantzer.
    Eifrig steckten sie die Köpfe zusammen. Hin und wieder sah einer von ihnen auf, als suchte er etwas. Gleich würden sie auch Carlotta entdecken. Ihr Herz begann zu rasen. Zum Umkehren war es zu spät. Ebenso wenig konnte sie unauffällig an ihnen vorbeischlüpfen. Die Begleitung des Studenten, der längst wieder dicht zu ihr aufgeschlossen hatte, würde erst recht Christophs Argwohn erregen. Wie aber sollte sie ihm gegenübertreten? Sein Zorn über Mathias’ Auftritt letztens loderte bestimmt noch heftig in seinem Innern. Seither hatte sie ihn weder gesehen noch gesprochen. Sie fürchtete sich davor, ihm weiteren Anlass für Missmut zu liefern.
    »Carlotta! Was macht Ihr hier draußen?« Pantzers Ausruf beendete ihr Grübeln, noch bevor sie zu einem Ergebnis gelangt war. Sichtlich erfreut humpelte er auf sie zu. »Bei diesem scheußlichen Wetter solltet Ihr brav zu Hause am Ofen sitzen oder Euch im warmen Kontor Eurer Mutter nützlich machen. Was sagst du dazu, Christoph?« Lachend drehte er sich zu seinem Freund um. »Komm, du alter Tölpel, und schau nicht so, als wäre dir eine Laus über die Leber gelaufen! Sieh nur, wer hier steht! Willst du deine Carlotta nicht begrüßen? Oder überlässt du sie mir jetzt endlich doch ganz allein?«
    Vergebens versuchte Carlotta, ihm Zeichen zu machen, mit seinem Scherzen einzuhalten. Zumindest verrieten seine Worte, dass Christoph ihm nichts von der Begegnung mit Mathias und dem hässlichen Auftritt in der Langgasse erzählt hatte.
    Erst jetzt wurde Pantzer ihres Begleiters ansichtig. Verwundert stockte er und blickte fragend zu ihr. Unwillkürlich wandte er sich um und versuchte, Christoph in die andere Richtung zu lenken. Der junge Medicus aber hatte den Studenten in Carlottas Begleitung ebenfalls entdeckt und blickte noch finsterer.
    »Wieso seid Ihr nicht brav zu Hause, wo Ihr hingehört, mein guter Pantzer?« Es kostete sie viel Kraft, unbekümmert zu klingen. »Wenn ich Euer bleiches Gesicht genauer betrachte, befürchte ich, dass Ihr Euer Krankenlager viel zu früh verlassen habt. Gewiss könnt Ihr Euch vor Schmerzen kaum aufrecht halten. Was also gibt es so Wichtiges, dass Ihr alle Vernunft fahrenlasst?«
    »Dich muss man das zum Glück gar nicht erst fragen«, mischte Christoph sich barsch ein und wies mit dem Kinn auf den Pennäler, dessen Gesicht und zerrissene Kleidung besser als alle Worte verkündeten, was ihm zugestoßen war. Abschätzig sah er ihn an. »Wo auch immer es Aufruhr oder Verwundete gibt, du bist stets zur Stelle, um deine Dienste anzubieten. Oder verhält es sich mit dir und diesem Herrn hier etwa ganz anders?«
    »Du bist doch auch zur Stelle, wo Verwundete zu beklagen sind. Du weißt also selbst am besten: Eine Wundärztin muss nun einmal helfen, wenn man ihres Beistands bedarf.« Beschämt wandte sie das Gesicht zur Seite, um die aufsteigenden Tränen zu verbergen. Er sollte keinesfalls sehen, wie sehr seine Worte sie verletzt hatten.
    »Verzeiht vielmals, mein Herr, aber das verehrte Fräulein war so gütig, mir anzubieten, meine Blessuren zu versorgen«, erklärte der Student unterwürfig. »Wenn Euch das nicht recht ist, suche ich selbstverständlich einen anderen Wundarzt auf.«
    Gleich machte er Anstalten, sich mit einer knappen Verbeugung zu empfehlen, da hielt Carlotta ihn am Ärmel zurück.
    »Das kommt gar nicht in Frage.« Entschlossen wischte sie die Wangen trocken. »Ihr kommt mit mir in die Langgasse, wie wir es vorhin besprochen haben.

Weitere Kostenlose Bücher