Das Bernsteinzimmer
hatte von der 18. Armee die nötigen Lastwagen bekommen … kein Kunststück, wenn es der Führer selbst befahl.
Müller-Gießen grüßte, sagte artig: »Danke, Herr Oberstarzt« und wandte sich aus dem Zimmer. Auf dem Flur sagte er wieder laut sein Lieblingswort: »Scheiße!« und verließ den Katharinen-Palast. Vor der Treppe parkte sein Wagen. Der Fahrer, ein Unteroffizier, las in der Soldaten-Illustrierten Die Wehrmacht, was Kriegsberichterstatter von allen Kriegsschauplätzen schrieben, fotografierten oder zeichneten. Er warf sie sofort auf den Nebensitz, als Müller-Gießen aus dem Schloß stürmte.
»Zurück zum Alexander-Palais!« schnarrte Müller-Gießen. Er ließ sich auf den Rücksitz fallen und lehnte sich zurück. »Nein … fahren Sie in die Stadt. Halten Sie auf der Bolschaja, dem Großen Platz. Aber flott, flott, ehe es ganz dunkel wird.«
Die Nacht verbrachte er dann mit einem drallen Bauernmädchen, das er an der Straße nach Puschkin auflas. Sie regte ihn nicht sonderlich auf; sie lag da wie ein Brett, hatte die Augen geschlossen und erduldete den schwitzenden deutschen Offizier. Ein unbefriedigender Ersatzfick, so sah es auch Müller-Gießen. Er schenkte dem Mädchen drei Tafeln Schokolade, zwei Pakete mit Dauerkeks und eine kleine runde Blechkonserve mit Leberwurst. Das Mädchen war glücklich, küßte ihm die Hand und rannte dann davon. Nur deshalb hat sie's getan, sagte sich Müller-Gießen und wusch sich ihren Geruch vom Körper. Wie anders wäre das mit Jana gewesen. Wie himmelhoch jauchzend. Aber 19 Lazarette abklappern – ein Wahnsinn!
»Und morgen –«, sagte er laut ins Zimmer hinein, »organisiere ich zwanzig Lkws! Ich werde mit Küchler selbst sprechen!«
Es blieb ein frommer Wunsch. Generaloberst von Küchler empfing ihn nicht einmal.
»Er ist weg«, sagte Wachter und rieb sich die Hände. »Mit Dampf vor der Nase wie ein wütender Stier. Der kommt nicht wieder.«
Jana Petrowna saß vor dem kleinen Radio, als Wachter zurück in seine Wohnung kam. Sie hatte den Ton ganz leise gestellt und sich zum Lautsprecher vorgebeugt. Sie hörte Radio Leningrad, die Aufrufe an die Bevölkerung, die Berichte von den Verteidigungsmaßnahmen und den Kämpfen an der Ringfront. Nichts wurde beschönigt oder verschwiegen. Die Einwohner von Leningrad wußten, was sie bei der Blockade erwartete: Hunger, Tod, Bomben und Granaten und im kommenden Winter das Erfrieren. Aber nie, nie würde man die Hände hochheben und sich ergeben. Leningrad blieb russisch.
Sie schaltete das Radio aus, richtete sich auf und fuhr sich, wie immer, wenn sie innerlich erregt war, mit gespreizten Händen durch die Haare.
»Danke, Herr Wachter«, sagte sie gehorsam. Ihr war eher zumute, aufzuspringen, zu ihm hinzulaufen und ihm um den Hals zu fallen.
Drei Tage lang blieb Jana in Wachters Wohnung und traute sich nicht hinaus. Erst als es sicher schien, daß Müller-Gießen mit seinem ›Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg‹, ERR, nicht mehr in Puschkin herumschnüffelte, wagte es Jana, wieder als Rote-Kreuz-Schwester im Katharinen-Palast herumzulaufen.
Wie erwartet: Sie fiel wieder niemandem auf. Keiner fragte, woher sie kam und was sie hier wollte. Man fragte nur, ob sie Zeit habe … Eine Menge Offiziere bemühte sich darum, ihr die langweiligen Abende zu vertreiben. Sie blieb standhaft bei aller Freundlichkeit und allem aufreizenden Lächeln, und so wurde sie zum Wettobjekt im Offizierskasino.
Wem gelingt es, das süße Schwesterchen ins Bett zu tragen? Wer wird der Sieger sein beim Sturm auf ihren Unterleib? Sie war doch nicht etwa noch unschuldig? Du lieber Himmel, was sind denn das für Ärzte, die solch einen Engel noch als Jungfrau herumlaufen lassen?! Kameraden, die Degen heraus –
Am 28. September wechselte die Besetzung des Schlosses. General von Kortte verabschiedete sich von Wachter, als ließe er einen guten Freund zurück. Sein Armeekorps wurde in den östlichen Teil des Einschließungsringes verlegt. Dafür bezog der Stab des 50. Armeekorps den Katharinen-Palast.
»Ich wünsche Ihnen alles Gute«, sagte von Kortte zum Abschied. »Vielleicht sehen wir uns einmal wieder … irgendwo … Sie sind ja leicht zu finden. Wo das Bernsteinzimmer ist, sind auch Sie.«
»Wenn wir den Krieg überleben, Herr General.« Wachter schluckte, seine Stimme wurde unsicher. »Ich danke Ihnen für alles. Wenn Beten hilft, dann werde ich für Sie beten. Vielleicht wacht Gott auf … jetzt schläft er …«
»Sagen Sie
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