Das Bienenmaedchen
leer. Die FANY, die sie hinausbegleiten sollte, war verschwunden. Beatrice sah ihre Chance und ergriff sie. Rasch ging sie den Flur entlang und blickte auf alle Schilder auf den Bürotüren, bis sie durch eine halb geöffnete Tür Peter erspähte, der in einem kleinen Raum saß und Papiere in einem Telegramm-Ablagekorb durchging. Sie klopfte und schlüpfte hinein.
»Bea!« Er stand auf und steckte kurz den Kopf in den Gang hinaus, dann schloss er die Tür. »Was machst du hier?«, fragte er nervös.
»Pst. Hör zu. Sie treffen eine gefährliche Entscheidung.« Sie wiederholte, was Yvonne ihr erzählt hatte.
Peter hörte ihr aufmerksam zu. Dann pfiff er leise und sagte: »Ja, sie hat recht, die anderen würden sie nicht fragen. Ist nicht ihre Art. Und Hudson ist sehr abweisend gegenüber dem, was er Weibermeinungen nennt.«
»Aber das ist lächerlich. Er hat mir zugehört.«
»Er musste es. Du bist da in Frankreich gewesen. Das respektiert er.«
»Aber keine anderen Frauen.«
»Vera Atkins, vielleicht. Aber dann warte, bis du ihn über die Juden reden hörst. Sehr unerquicklich.«
»Vera ist Jüdin?«
»Ja, aber sie würde sich nicht dafür bedanken, wenn jemand eine Bemerkung darüber macht. Ein Vögelchen hat mir zugezwitschert, dass sie immer noch nicht britische Staatsbürgerin ist und Angst hat, dass die da oben sie aus ihrem Job drängen würden, wenn sie es wüssten.« Er dachte einen Augenblick nach und fügte hinzu: »Aber diese Sache hier … Weißt du was? Ich werde selbst mit Buckmaster reden.«
»Wird er dir zuhören?«
»Ich weiß es nicht. Wenn er sich einmal eine fixe Idee in den Kopf gesetzt hat, na ja, dann ist es schwierig, sie dort wieder hinauszubekommen. Er möchte immer das Beste glauben, der alte Buckmaster, das solltest du wissen.«
»Ich werde dran denken. Danke dir und viel Glück!«
Er ging zur Tür und wollte sie ihr aufhalten, aber sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Peter, es gibt noch etwas, das ich wissen muss. Rafe – weißt du, ob er einer von uns ist? Ob er in der französischen Sektion ist, meine ich?«
»Bea, du weißt doch, dass ich dir so was nicht sagen kann.«
»Dann ist er es also.«
Peter schwieg.
»Ist er in großer Gefahr? Ich kann es nicht ertragen, zu denken –«
»Bea!«
»Nein, natürlich kannst du es mir nicht sagen. Aber es ist unerträglich, nichts zu wissen!«
»Sie schreiben seiner Mutter. Sie hätte es erfahren, wenn die Dinge … nicht gut gelaufen wären. Du hast ihn immer noch sehr gern, nicht?« Seine Stimme klang ein bisschen bitter, und ihr wurde plötzlich klar, dass ihm das etwas ausmachte.
Ich trage ihn die ganze Zeit in meinem Herzen, dachte sie, aber laut antwortete sie nur: »Ja, tut mir leid.«
Er begleitete sie zum Fahrstuhl und schloss die Kabine fest hinter ihr zu, um sicherzustellen, dass sie wohlbehalten aus dem Gebäude gelangte.
»Auf Wiedersehen, Peter«, sagte sie durch das rautenförmige Gitter hindurch.
»Pass auf dich auf, Bea«, erwiderte er leise, als der Lift langsam nach unten glitt.
Sie versuchte, nicht an Rafe und Peter zu denken, damit sie mit dem weitermachen konnte, was sie tun musste. Natürlich fragte sie sich, was in Rouen geschehen war, doch es gab niemanden, den sie fragen konnte. Oder besser gesagt, es gab jemanden, aber sie würde keine Antworten bekommen. Sie wusste, manchmal war das Leben ein Geduldsspiel. Ihre Rolle war immer wichtig, oder zumindest wurde sie dazu gebracht, das zu glauben. Doch es war eine unausgesprochene Regel, die jeder Beteiligte anerkannte: Man sagt dir nur das, was du wissen musst. Was du nicht weißt, kannst du auch nicht verraten.
Sie wurde zu einem weiteren Training geschickt. Drei Wochen in Hampshire auf dem Land, mit Hecken von leuchtenden Weißdornblüten und schimmernden grünen Wiesen. Während sie über die englischen Feldwege rannte, durchströmte sie ein Hochgefühl: eine Freude über ihre Kraft und die Schönheit der Welt um sie herum. Außerdem schlief sie gut. Allmählich lernte sie, wie wichtig es war, nicht daran zu denken, was kommen könnte, sondern für den Augenblick zu leben. Nur ihre Träume verrieten sie: dunkle Träume, in denen sie zu ersticken glaubte, und vor allem, in denen sie zu laufen versuchte, es aber nicht konnte.
Einmal erwähnte sie diese Träume gegenüber Miss Atkins, als diese zu Besuch da war und mit Beatrice einen Spaziergang über das Gelände rund um das Landhaus machte.
»Das überrascht mich nicht«, sagte Miss Atkins.
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