Das Bild
sie eine Woche
nach dem Abschluß geheiratet hatte, und sie hatten ein Land
mit zwei Einwohnern gebildet… dessen Grenzen normalerweise für Touristen geschlossen waren.
»Pardon, Ma’am?«
Ihr wurde klar, daß sie einen Namen statt eines Zielorts
genannt hatte, und wie seltsam
(der Mann betrachtet wahrscheinlich meine Handgelenke
und
den Hals, ob die Zwangsjacke irgendwelche Spuren
hinterlassen
hat)
sich das anhören mußte. Sie errötete verwirrt und verlegen
und versuchte, ihre Gedanken zu beruhigen und in eine Art
Ordnung zu bringen.
»Tut mir leid«, sagte sie, und da kam ihr eine unangenehme Erkenntnis: Was die Zukunft auch für sie bereithalten
mochte, diese einfache, klägliche Redewendung würde ihr
wahrscheinlich folgen wie eine Blechdose, die an den
Schwanz eines streunenden Hundes gebunden worden war.
Vierzehn Jahre lang war eine geschlossene Tür zwischen ihr
und dem größten Teil der Welt gewesen, und im Augenblick
kam sie sich wie eine ängstliche kleine Maus vor, die ihr Loch
im Sockel der Küche verwechselt hat.
Der Mann sah sie immer noch an, doch jetzt waren die
Augen über der lustigen Halb-Brille ungeduldig. »Kann ich
Ihnen helfen oder nicht, Ma’am?«
»Ja, bitte. Ich möchte eine Fahrkarte für den Bus um 11:05
Uhr.« Sie nannte das Ziel, obwohl sie glaubte, daß das nicht
nötig gewesen wäre; es ging nur ein Bus von Continental
Express um 11:05 Uhr. »Sind noch Plätze frei?« fragte sie zaghaft.
»Oh, ich schätze etwa vierzig. Hin und zurück oder einfach?«
»Einfach«, sagte sie und spürte wieder, wie ihr Wärme in
die Wangen schoß, als ihr bewußt wurde, wie folgenreich
ihre Worte waren. Sie versuchte zu lächeln und sagte es noch
einmal, mit etwas mehr Nachdruck: »Einfach, bitte.«
»Das macht neunundfünfzig Dollar und siebzig Cent«,
sagte er, und sie spürte, wie ihre Knie vor Erleichterung
weich wurden. Sie hatte mit einem viel höheren Fahrpreis
gerechnet; sogar mit der Möglichkeit, daß er fast alles verlangen würde, was sie hatte.
»Danke«, sagte sie, und er mußte die aufrichtige Dankbarkeit in ihrer Stimme gehört haben, denn er sah von dem
Formular auf, das er zu sich zog, und lächelte sie an. Der
ungeduldige, wachsame Blick war aus seinen Augen verschwunden.
»War mir ein Vergnügen«, sagte er. »Gepäck, Ma’am?«
»Ich… ich habe kein Gepäck«, sagte sie und hatte plötzlich
Angst vor seinem Blick. Sie versuchte, sich eine Erklärung
zurechtzulegen - ganz bestimmt kam es ihm verdächtig vor,
eine Frau allein, die nur mit einer Handtasche als Gepäck in
eine weit entfernte Stadt fuhr -, aber ihr fiel keine Erklärung
ein. Doch sie sah, daß das keine Rolle spielte. Er war nicht
argwöhnisch, nicht einmal neugierig. Er nickte nur und
stellte ihr den Fahrschein aus. Da kam ihr unvermittelt eine
alles andere als angenehme Erkenntnis: Sie war nichts Neues
in Portside. Dieser Mann sah ständig Frauen wie sie, die sich
hinter dunklen Brillen versteckten, Fahrkarten in andere
Zeitzonen kauften; Frauen, die aussahen, als hätten sie
irgendwann einmal vergessen, wer sie waren und was sie
vorhatten und warum.
10
Rosie verspürte eine gewaltige Erleichterung, als der Bus
den Bahnhof Portside verließ (pünktlich), links abbog, wie der über die Trunkatawny Bridge zurückfuhr und dann auf
der I-78 Richtung Westen rollte. Als sie die letzte der drei
Innenstadtausfahrten passierten, sah sie die Glasfassade des
dreieckigen Bauwerks, in dem das neue Polizeirevier untergebracht war. Sie überlegte sich, daß ihr Mann in diesem
Augenblick hinter einem der Fenster sitzen konnte, daß er
vielleicht sogar den großen, glänzenden Bus sah, der die
Interstate entlangkroch. Sie schloß die Augen und zählte bis
hundert. Als sie sie wieder aufschlug, war das Gebäude hinter ihr zurückgeblieben. Für immer, hoffte sie.
Sie hatte einen Sitz im hinteren Viertel des Busses genommen, wo der Dieselmotor nicht weit von ihr entfernt konstant brummte. Sie machte wieder die Augen zu und lehnte
das Gesicht an die Scheibe. Sie konnte nicht schlafen, sie war
zu aufgekratzt, um zu schlafen, aber sie konnte sich ausruhen. Sie hatte eine Ahnung, als könnte sie soviel Ruhe brauchen, wie sie nur bekommen konnte. Immer noch setzte sie in
Erstaunen, wie plötzlich alles geschehen war - ein Ereignis,
das mehr einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall glich
als einer Veränderung im Leben. Veränderung? Das war
milde ausgedrückt. Sie hatte es nicht nur verändert, sie hatte
es entwurzelt wie eine
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