Das Bildnis der Novizin
und die zarte Haut ihres neugeborenen Kindes berührte. Er hatte nicht die in Grau- und Orangetönen gehaltene Geburtskammer seines Bildes gesehen, sondern die Zimmer in seinem eigenen schlichten Heim.
»Ich habe Feinputz für den neuen Arbeitsabschnitt gemischt, Maestro«, sagte Tomaso und trat auf ihn zu. »Welche Farben benötigt Ihr für den Hintergrund der Beerdigungsszene?«
Es war ein kalter Morgen, und Tomasos Atem bildete kleine Wölkchen in der eisigen Luft. Der Maler fuhr herum und funkelte ihn an.
»Die Arbeit geht nicht schnell genug voran. Es muss rascher gehen!« Monatelang hatte er seine Helfer mit sanfter, gütiger Stimme angespornt. Damit war es nun vorbei. »Ihr müsst schneller arbeiten!«
Er übertrug Fra Diamante sämtliche Hintergrundarbeiten für die Missionsszenen des heiligen Stephanus und Johannes.
»Weiße Höhlen und Steine für Johannes den Täufer und tiefe grüne Wälder für Stephanus«, befahl er und demonstrierte, wo und wie die Farben am effektvollsten aufgebracht werden sollten. »Auf geht’s, der Hintergrund muss fertig werden, damit ich die Figuren daraufmalen kann!«
Er setzte jeden Helfer vor einen anderen Arbeitsabschnitt, stellte ihnen barsch die Farbeimer hin und befahl ihnen, sich ordentlich ins Zeug zu legen.
»Ihr wollt doch essen, oder? Dann müsst ihr arbeiten!« Wie ein Derwisch wirbelte er durch die Kapelle, seine Helfer antreibend, voller Verzweiflung über die bisher so unvollständige Verwirklichung seiner Ideen.
»Lieber Gott, du verlangst mehr von mir, als ich erfüllen kann«, murmelte er, vor dem langen Arbeitstisch stehend und hastig die Figuren skizzierend, die er später in den Hintergrund einfügen würde. »Ohne Farben kann ich nicht malen, ohne Materialien, ohne Geld.«
Seine Assistenten sahen die Bewegungen seiner Lippen und nahmen an, dass er betete. Sie machten einen weiten Bogen um ihn, und jedes Mal, wenn er sie anfunkelte, arbeiteten sie noch schneller.
»Beeil dich!«, sagte er, als er sah, wie viel Zeit sich der junge Marco mit dem Ausmalen eines Blatts nahm. »Schneller.«
Der Tag verging in großer Hektik. Keiner machte eine Pause. Sie arbeiteten, bis Fra Diamante müde die Hand auf Fra Filippos Schulter legte und sagte: »Wir haben alles getan, was an einem Tag möglich ist, Maestro. Es wird Zeit, dass wir Schluss machen und nach Hause gehen.«
Als die anderen fort waren, warf auch Fra Filippo seine Pinsel beiseite und kletterte vom Gerüst.
Er ging zu der kleinen Kapelle, in der der Heilige Gürtel verwahrt wurde. Seit Jahren arbeitete er nur wenige Meter von der Reliquie entfernt, doch war ihm noch nie in den Sinn gekommen, an ihre Wunderkräfte zu appellieren.
Bis heute.
Als er vor dem Gitter stand, mit dem die kleine Kapelle abgeriegelt war, ließ er sich auf die Knie sinken und umklammerte die Bronzestäbe.
»Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade«, murmelte er inbrünstig. »Der Herr ist mit dir.«
Am Ende begann er wieder von vorne, wieder und wieder, und allmählich spürte er, wie ihn die rhythmischen Wiederholungen ruhiger werden ließen.
»Heilige Mutter, vergib mir, wenn ich etwas Falsches getan habe. Vergib mir.«
Fra Filippo musste an den Tag denken, als er im Beichtstuhl gesessen und nach den richtigen Worten gesucht hatte, um Lucrezia in ihrem Kummer zu trösten.
»Heilige Maria, Muttergottes, ich darf nicht versagen«, flüsterte er mit zugeschnürter Kehle. »Ich muss weiterarbeiten, sonst kann ich nicht mehr für Lucrezia sorgen. Und dann ist alles verloren.«
Die einzelne Kerze brannte nieder und erlosch. Der Mönch war von Dunkelheit umgeben. Während er seine Sachen zusammensuchte, hörte er Schritte in der Nähe des Altars. Er drehte sich um und erkannte eine in Rot gewandete Gestalt mit einer Kerze durch das Querschiff hasten.
»Inghirami?«, flüsterte er heiser. »Guter Propst? Seid Ihr das?«
Die Gestalt schien ihre Schritte zu beschleunigen. Er hörte einen, vielleicht auch zwei Männer. Der Mönch rappelte sich auf und rannte ins Hauptschiff und auf den Altar zu. Er sah den Schein der Kerze gerade noch um eine Ecke rechts vom Presbyterium verschwinden. Eine Tür wurde geöffnet.
»Wer da?«
Seine Stimme hallte unheimlich in dem hohen Gewölbe. Die stummen Holzfiguren der Jungfrau Maria und der heiligen Elisabeth schienen ihn vorwurfsvoll anzusehen, und das schwere Kruzifix, das über dem Altar hing, war im Dunkeln nur vage zu erkennen. Er dachte an Lucrezia, die hilflos und allein zu
Weitere Kostenlose Bücher