Das Bildnis der Novizin
Absolution und Dispens zu erteilen, mit einer gewissen Lucrezia Buti, vierte Tochter von Lorenzo Buti, die ohne Mitgift zu mir kommt und um deretwillen ich auf jedes Anrecht auf eine Mitgift, jetzt und für immer, verzichte, in den heiligen Stand der Ehe zu treten. Ut in Omnibus Glorietus Deus.«
20. Kapitel
In der zweiten Woche der Fastenzeit, im Jahre des Herrn 1457
F ra Filippo schaffte jeden Vormittag an den Fresken, und jeden Nachmittag eilte er nach Hause, um an der Anbetenden Madonna , dem Altarbild für Neapel, weiterzuarbeiten. Manchmal machte er nicht einmal eine Mittagspause und oft kam er erst lange nach Sonnenuntergang heim. Er hatte Giovanni de Medici etwas ganz Neues versprochen, doch war es ihm noch nie so schwer gefallen, dieses neue Konzept auszuarbeiten und umzusetzen. Er war in vielerlei Hinsicht ein Vorreiter der Kunst: Er hatte als Erster das Porträt eines Ehepaares gemalt, in dem sie sich durch ein Fenster, ähnlich dem eines Beichtstuhls, ansahen. Er hatte als Erster Freskenlandschaften um Mauerecken weitergeführt, um den Betrachter zu verlocken, dem Faden einer Geschichte zu folgen. Und er als Einziger war auf die Idee gekommen, die frechen Gesichter der Gassenjungen für seine Engel und Putten zu verwenden.
Und jetzt wollte er wieder etwas ganz Neues versuchen: Er wollte die Madonna im Freien, in der unberührten Natur, außerhalb von Menschen errichteter Mauern abbilden, dort, wo sie dem Herrn und Schöpfer am nächsten war.
Keiner hatte das bisher gewagt, weder die großen Meister vergangener Jahrhunderte noch Masaccio, ja, nicht einmal Fra Giovanni, der Dominikaner. Eine solche Szene fand sich weder in den Evangelien noch in den Apokryphen.
Indem er die Madonna in Gottes herrliche Natur setzte, wollte er ihre Nähe zu ihm, ihre Heiligkeit und ihre Verbindung zur Schöpfung verdeutlichen. Und um den Anforderungen, die die Medici und er selbst an dieses Werk stellten, gerecht zu werden, musste diese Madonna eine einfache Frau sein, deren Schönheit ihre Kraft suggerierte, das Christuskind in diese Welt zu bringen. Sie musste überzeugend, meditativ, traurig und hoffnungsvoll zugleich sein.
Beim Arbeiten dachte Fra Filippo an den Papst, stellte sich vor, wie er seine Bitte um Dispens zum Heiraten las, und betete, dass ihm die Jungfrau helfen möge, das todkranke Kirchenoberhaupt zu überzeugen. Das Schweigen der Kurie bereitete ihm zunehmendes Unbehagen – er verdrängte den Gedanken. Er versuchte nicht an die Peitschenhiebe zu denken, an den dicker und dicker werdenden Leib von Lucrezia, ihre hungrige Schönheit, den flehentlichen Blick in ihren Augen, wenn er nach der Arbeit immer weniger zum Abendessen heimbrachte. Er konzentrierte sich ausschließlich auf die Muttergottes, auf das Kind und auf die Hoffnung, die es in die Welt brachte.
Doch wenn er am Ende des Tages den Pinsel beiseite legte und seine Arbeit betrachtete, wusste er, dass er dabei war zu versagen.
Der Körper der Madonna war nicht schön genug; die Bäume und Tiere, so sorgfältig skizziert, die Putten in den Wolken, ja die Wolken selbst, das alles war nicht beeindruckend genug für einen König. Die Arbeit von Wochen, ein mühsamer Pinselstrich nach dem anderen, hatten das Bild weder besser noch klarer noch beeindruckender gemacht.
Es stand so viel auf dem Spiel, und das machte ihn nervös; es hatte seine Inspiration beeinträchtigt, was sich deutlich im Ergebnis niederschlug.
Er war an einem toten Punkt angelangt – nicht zum ersten Mal. Fra Filippo wusste, dass es nur eins zu tun gab; er musste noch einmal von vorne anfangen. Als am zweiten Donnerstag der Fastenzeit das bleiche Licht der Morgendämmerung in die Hütte sickerte, erhob er sich, ohne die schlafende Lucrezia zu stören, schlich in seine Werkstatt und begann mit ruhigen Bewegungen einen Topf Gesso zu mischen.
Wie im Traum trat er an die Staffelei und begann mit kühnen Bewegungen, die weiße Farbe über Fußboden und Kutte verspritzend, das misslungene Bild zu übermalen. Ein Dutzend breiter Striche und acht Monate harter Arbeit waren dahin.
Verschlafen betrat Lucrezia die Werkstatt, in der Hand einen Becher mit verdünntem Wein für den Maler. Doch anstatt des Altarbilds, an dem sie ihn mühevoll monatelang hatte arbeiten sehen, erblickte sie nun eine leere weiße Fläche, auf der geisterhaft ihr Gesicht und ihre Hände schwebten. Alles andere war übermalt. Verschwunden.
»Was hast du getan?«, schrie sie auf. Sie stellte den Becher auf
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