Das Bildnis der Novizin
den Arbeitstisch und legte schützend die Hände auf ihren Leib. »Das Altarbild ist unsere einzige Hoffnung – das hast du selbst gesagt. Ohne das Bild werden wir keinen Dispens von Rom erhalten!«
Der Mönch fuhr herum, den Gessospachtel in der Hand.
»Es war nicht gut genug für einen König«, antwortete er müde. »Stumpfe Farben und vage Linien werden uns keinen Dispens verschaffen. Ich konnte das unmöglich im Namen der Medici abgeben.«
Der Maler wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und hinterließ dabei einen breiten weißen Striemen. Lucrezia blickte sich in der Werkstatt um: Überall, auf Boden und Tischen, lagen Skizzen verstreut, Papierfetzen und schmutzige Lappen, die der Maler während der langen Morgenstunden verbraucht hatte.
»Was ist denn los, Filippo?«, wimmerte sie. »Sag mir, was ich tun soll.«
Sein Blick war leer und trübe auf eine Stelle jenseits der Staffelei gerichtet, wo ein Riss in der Wand zu erkennen war.
»Liebst du mich noch?«, wisperte sie. Sie senkte den Blick auf ihren vollen Leib, auf ihre geschwollenen Finger. Der Ring, den er ihr im Dezember aufgesteckt hatte, schnitt ihr ins Fleisch. »Findest du mich nicht mehr schön?«
»Du bist die schönste Frau auf Gottes Erden«, entgegnete er erzürnt. »Dein Gesicht in dem Bild war das Einzige, was eines Königs würdig, was erhaltenswert war.«
»Filippo, bitte, du wirst doch noch mal von vorne anfangen, ja?«
»Ja, das werde ich«, sagte er und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und durch die Haare, bis er aussah wie eine der weißgekalkten Figuren an einer Kirchenfassade. »Das werde ich.«
Noch am selben Tag machte er sich wieder an die Arbeit, skizzierte neue Bäume, einen neuen Hintergrund. Nun sollte das mollige Christuskind von drei Engeln gehalten werden, und aus einer Wolke, die über dem blaugrünen Wald stand, sollte die Hand Gottes herabreichen. Er wollte einen mitternachtsblauen Himmel malen, darüber einen helleren Teil, der von einem schimmernden Regenbogen überspannt wurde, dem Symbol göttlicher Verheißung.
Er stand auch am darauffolgenden Morgen sehr früh auf und arbeitete forsch an den Skizzen weiter, präparierte die Pappelplatte und entkorkte einen Topf Färberwaid, um blaue Pigmente für den Himmel anzurühren.
Aber der Topf war leer. Er öffnete einen Zinnkrug mit Kreuzdorn, um dann eben mit dem grünen Wald anzufangen. Doch auch dieser war fast leer. Und von den zu Pulver zerstoßenen Margeriten, die er im Juni aus Lucrezias zarten Händen erhalten hatte, war auch fast nichts mehr da.
Der Maler stützte sich auf seinen Arbeitstisch und ließ den Kopf hängen.
Seit zwei Jahren hatte er die meisten Vorräte, die er für seine Farben benötigte, aus Schwester Purezas Klostergarten erhalten – er hatte begonnen, sich darauf zu verlassen. Doch nun hatte er die alte Nonne seit September nicht mehr gesehen, seit dem Tag, da sie ihnen den Rücken gekehrt und wortlos sein Haus verlassen hatte. Es würde Tage dauern, die Materialien aus Florenz zu beschaffen, doch könnte er sie sowieso nicht bezahlen. Er hatte fast kein Geld mehr. Erst gestern hatte er seinen Geldbeutel hinter dem Herdstein hervorgeholt und festgestellt, dass nur mehr fünf Silberstücke darinlagen.
Ohne Materialien konnte er nicht malen. Ohne Geld konnte er sich keine Materialien beschaffen. Und wenn er nicht malen konnte, war er am Ende.
Fra Filippo dachte an seine verschiedenen Aufträge. Wo könnte er unter Umständen noch Geld herbekommen? Seine einzige Hoffnung war, die Fresken im Dom ein gutes Stück voranzubringen und dann zu versuchen, dem Stadtrat noch ein paar Goldstücke zu entlocken.
Ohne Lucrezia etwas zu sagen, die sich gerade im Schlafzimmer ankleidete, nahm er sich eine kleine Salami aus dem Vorratsregal und machte sich auf den Weg zum Dom. Als er die Hauptkapelle betrat, fand er seine Assistenten mit Hintergrundarbeiten an der Szene beschäftigt, in der der heilige Stephanus sein Elternhaus verlässt.
»Guten Morgen«, sagte er und funkelte die gähnenden jungen Männer grimmig an.
Mit langen Schritten durchquerte er den Kapellenraum und blieb vor der Wand stehen, an der er in mühevollen Wochen die Geburtsszene von Johannes dem Täufer fertiggestellt hatte. Liebevoll hatte er das sanfte Lächeln der heiligen Elisabeth gemalt und die Kinderschwestern, die mit erfahrenen Händen den Säugling wuschen. Er hatte sich dabei Lucrezias sanftes Lächeln vorgestellt und wie sie die Hand ausstreckte
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