Das Bildnis der Novizin
Abgabe in Verzug geraten war. Zur Hölle mit ihnen! Und wie du siehst, arbeite ich wie ein Berserker an den Fresken und auch am Medici-Altarbild.«
Der Maler wies mit einer heftigen Geste in eine dunkle Ecke, wo er das Triptychon aufbewahrte.
»Ich will weg von hier, Piero, und ich will Lucrezia mitnehmen. Sobald das Kind auf der Welt ist, sobald ich hier fertig bin, sobald ich mein Geld habe, werde ich diese Stadt verlassen.«
Er sprach so schnell, dass der Prokurator Angst bekam. Er legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. Das Gesicht des Mönchs wirkte hager, ausgezehrt.
»Isst du regelmäßig, Filippo?«
»Essen? Mein Gott, Piero, sieh dir das Festmahl von König Herodes an!« Er zog seinen Freund zu einer Wand rechts vom Gerüst. »Schau dir die Bankettszene an.«
Der Prokurator betrachtete die gedeckte Tafel, die auf einem rot-grün gekachelten Boden stand, betrachtete die angespannten Gesichter der Gäste, den grauen Kopf des Täufers, der auf einem Tablett ruhte. Er folgte dem Maler, als dieser ein Stück nach links ging, die Laterne hochhielt und ein gespenstisch leeres Stück Wand beleuchtete.
»Meine Salome«, sagte Fra Filippo, dessen zuerst so hektische Stimme nun tränenerstickt klang. »Das wird meine Salome.«
Fra Piero stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute sich sorgfältig das auf die Wand skizzierte Gesicht an. Die Frau sah aus wie Lucrezia am Ende ihrer Schwangerschaft. Aber da war etwas im Ausdruck der Tänzerin, das Fra Piero bei Lucrezia noch nie bemerkt hatte.
»Salome tanzt den Tanz der Sünderin«, erklärte Fra Filippo und trat so dicht neben Fra Piero, dass diesem die Ausdünstungen seines seit Tagen und Nächten nicht gewaschenen Körpers in die Nase stiegen. »Sie tanzt für Herodes, sie tanzt, damit er ihr jede Bitte erfüllt, und dann …«
Fra Filippo hielt inne. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
»Und dann?«, fragte Fra Piero gespannt. Das Licht der Lampe flackerte über die breiten Züge seines Freundes, warf unheimliche Schatten darüber.
»Und dann – mit einem einzigen Tanz, einer einzigen Bitte von ihr und einem Nicken von Herodes – wird der Täufer enthauptet. Sein abgeschnittener Kopf wird auf einem Tablett serviert.«
Fra Filippo schwieg. Sein Blick schien sich nach innen zu kehren.
Seit Tagen war er hier, hatte ununterbrochen über Salome nachgedacht. Und jetzt begriff er endlich. Die Figur der tanzenden Salome würde den Mittelpunkt seines Freskenzyklus bilden. Er würde sie weiß malen, ein zartes, durchscheinendes Weiß, geisterhafte Bewegungen, unwirklich, fast wie eine Traumvorstellung. Auf Augenhöhe des Betrachters würde ihr Körper eine schlangengleiche Anmut besitzen, ganz anders als alle anderen Figuren, isoliert, nur dem eigenen, inneren Rhythmus unterworfen.
Der Maler vergaß alles um sich herum, vergaß seinen Freund und griff wie im Traum nach einem Stück roter Kreide. Mit sicheren Bewegungen skizzierte er den Körper der Salome: eine perfekte Arabeske, die sich von den strengen, geometrischen Linien des Fliesenbodens abhob. Männer und Frauen würden in Salome die herzlose Sünderin sehen, aber sie würden sie voller Sehnsucht und Neid betrachten, würden ahnen, welchen Zauber sie auf ihre Umgebung ausübte.
»Filippo?«
Der Maler erwachte wie aus einer Trance. Blinzelnd blickte er seinen Freund an. Wie lange stand er schon neben ihm? Mit wilder Geste wies er auf seine Arbeit, auf die Stelle, an der Salomes Fuß kaum den Boden des Festsaals berührte.
»Weißt du, Piero, Salome ist schön, aber kapriziös. Sie hat eine geisterhafte Macht, die kein Mann fassen kann«, erklärte er. »Jeder, der sie ansieht, wird verstehen, dass Johannes von einer Frau zerstört wurde, die nicht mehr Substanz besaß als der flüchtige Hauch ihres Parfüms, deren zierlicher Fuß, kaum den Boden berührend, der einzige Anker war, der sie an diese Erde band.«
Der Prokurator legte erneut seine Hand auf die Schulter des Malers. »Mach dir keine Sorgen, Filippo. Ich werde auf Lucrezia aufpassen.«
»Natürlich.« Der Maler nickte heftig bei der Erwähnung ihres Namens. »Aber, mein guter Piero, sie ist jetzt in Gottes Hand. Beide sind wir in Gottes Hand.«
25. Kapitel
Am Donnerstag der zwölften Woche nach Pfingsten, im Jahre des Herrn 1457
D iesmal war kein Zweifel möglich: Das Kind wollte kommen.
Lucrezias Eingeweide zogen sich jäh zusammen und entleerten sich, Wasser schoss zwischen ihren Schenkeln hervor. Ihr Bauch wurde
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