Das Bildnis der Novizin
der Decke trocken, wobei sie sich insbesondere dem seltsamen, kreuzförmigen Mal widmete. Doch es wollte sich nicht wegreiben lassen.
Schwester Pureza warf einen Blick auf Rosina, deren dunkle Augen alles beobachtet hatten.
»Gebt ihn mir«, bat Lucrezia und streckte schwach die Arme aus. Aber die Alte schien sie nicht zu hören. Mit energischen Bewegungen wickelte sie das Kind in eine vom vielen Waschen ganz weich und bleich gewordene Decke und übergab es Rosina. Dann drückte sie mit beiden Händen auf Lucrezias Bauch, bis die Nachgeburt herauskam. Die junge Frau hatte viel Blut verloren. Ihre Glieder zitterten heftig, und ihre Arme waren ganz kalt. Schwester Pureza drückte eine schmerz- und blutstillende Auflage zwischen Lucrezias Beine und deckte sie mit einer warmen Decke zu.
»Gebt ihn mir«, flehte Lucrezia erneut und streckte die Hand nach der Hebamme aus. »Ich will ihn halten. Bitte, Schwester Pureza, gib ihn mir.«
Schwester Pureza wartete, bis sich feine Schweißtröpfchen auf Lucrezias Stirn gebildet hatten, ein sicheres Zeichen, dass ihr Körper warm geworden war, dann brachte sie ihr einen kleinen Becher mit Ringelblüten- und Nesseltee.
»Trink«, befahl sie.
Lucrezia schürzte gehorsam die Lippen und trank.
»Gib ihn mir«, flehte sie und streckte die Hand nach der Nonne aus. Aber Schwester Pureza hatte sich bereits abgewandt.
»Schwester, wohin gehst du?« Lucrezias Blick folgte der alten Nonne, deren schwarze Gestalt die Kammer durchquerte, vor dem Kruzifix stehen blieb und ein Blatt Pergament in den Schein der Kerze hielt. Sie schien etwas zu lesen.
»Bitte taufe ihn, Schwester«, bat Lucrezia mit schwächer werdender Stimme.
Das tat die alte Nonne bereits. Sie schlug das Kreuzzeichen über der Stirn des Säuglings, besprenkelte ihn mit Wasser und murmelte die Worte, die ihn von der Erbsünde reinwuschen.
»Pass auf, dass sein Kopf warm bleibt«, hörte Lucrezia die Hebamme sagen. »Seine Reise könnte lange dauern.«
»Mein Kind!«, rief Lucrezia. »Was macht ihr mit ihm? Wohin bringt ihr ihn?«
Weder die Alte noch das Mädchen beachteten sie.
»Gebt ihn mir!«, rief Lucrezia. Sie sah Schwester Pureza die Tür öffnen, sah, wie Rosina mit dem Baby verschwand.
»Spinetta, bist du da?«, rief Lucrezia panisch. Sie versuchte sich aufzustemmen, aber ihre Arme waren zu schwach, ihre Schmerzen zu stark. »Bringt ihn zurück!«, kreischte sie. »Bringt ihn mir zurück!«
Die Tür ging zu. Das Kind und Rosina waren fort. Nur Schwester Pureza war noch da, das Gesicht hart und unbewegt.
»Wohin wird er gebracht, Schwester Pureza? Bitte, ich will ihn sehen!«
Die Kälte der Nonne in den letzten Wochen war Lucrezia als gerechte Strafe erschienen, doch damit hätte sie niemals gerechnet.
»Ich bin in gutem Glauben zu dir gekommen, Schwester Pureza. Ich dachte, du wärst meine Freundin.«
Die Alte antwortete nicht. Rasch ging sie im Raum umher, sammelte die blutigen Laken ein, zerrte den Waschbottich mit dem blutigen Wasser in den Kräutergarten hinaus.
Dann straffte sie ihre Schultern, zündete ein Sträußchen Rosmarin und Salbei an und räucherte damit das Krankenzimmer aus. Lucrezia musste husten. Der Rauch brannte ihr in den Augen. Ihr Weinen war herzzerreißend.
»Ich habe versucht, dir begreiflich zu machen, was geschieht, wenn man sich der Fleischeslust hingibt«, sagte Schwester Pureza in der Dunkelheit des Zimmers. Das Mädchen hörte auf zu schluchzen, und Schwester Pureza merkte, dass sie ihr zuhörte. »Aber du wolltest nicht auf mich hören. Wolltest mir nicht glauben. Jetzt weißt du es, Schwester Lucrezia. Jetzt weißt du es.«
»Warum tust du mir das an?«
»Ich befolge nur die Anordnungen des Generalabtes.«
»Des Generalabtes!«, kreischte Lucrezia und versuchte erneut, sich zu erheben. »Mein Gott, du darfst nicht zulassen, dass er mir das antut. Er hat mir wehgetan, Schwester Pureza, du weißt doch, wie mir der Generalabt wehgetan hat!«
»Es steht nicht in meiner Macht, mich seinen Anordnungen zu widersetzen. Du hast ein Kind in Sünde empfangen und ausgetragen. Nun wird diese Sünde getilgt, und dein Kind wird in einem christlichen Elternhaus aufwachsen. Du solltest dich glücklich schätzen.«
Lucrezia schluchzte so heftig, dass sie nicht antworten konnte.
»Es ist am besten so«, versuchte die Hebamme sie zu trösten. »Du hast einen gesunden Sohn zur Welt gebracht, aber damit ist die Sache erledigt. Kein Wort mehr darüber. Das ist wirklich das Beste, du
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