Das Bildnis der Novizin
meinte bereits zu spüren, wie sich die Schlinge um seinen Hals legte.
»Er muss hier sein«, krächzte er. »Durchsucht das Kloster, ich bitte Euch.«
Der Generalabt wandte sich wieder zur Äbtissin um.
»Sollte der Gürtel in diesem Kloster gefunden werden, müsst Ihr Euch vor Rom verantworten!«
Schockiert spürte die Äbtissin, wie ihr Schließmuskel nachgab und Urin an ihrem Bein herabrann. Der Generalabt stakste zur Mitte des Platzes.
»Monsignore, wir sind einfache Dienerinnen des Herrn«, rief sie und hoppelte ihm hinterher. »Wir sind keine Diebe!«
Der Generalabt blickte sich um, und sie folgte seinem Blick. Die Nonnen hatten sich an den Fenstern und Türen des Kapitelhauses, unter den Bögen des Kreuzgangs versammelt. Schwester Isotta schwankte wie eine schlanke Zeder im Wind, die füllige Schwester Maria wrang nervös einen schmutzigen Spüllappen.
»Wir haben Armut und Gehorsam geschworen«, stieß die Äbtissin schwach hervor.
»Wo sind die Novizinnen?«, fragte Saviano bedrohlich.
»Wir haben drei Novizinnen«, antwortete die Äbtissin zögernd. »Ich nehme an, sie sind alle bei Schwester Lucrezia im Krankenflügel.«
Savianos Augen wurden schmal. »Bringt sie her.«
»Ich fürchte, Schwester Lucrezia hat sich noch nicht wieder erholt«, stammelte die Äbtissin.
Der Generalabt beugte sich vor, näherte sein Gesicht dem ihren. »Das letzte Mal, als der Gürtel aus dem Dom entfernt wurde, ist er hierher gebracht worden. Ihretwegen. Wenn Ihr mir nicht sagen könnt, wo der Gürtel ist, vielleicht kann sie es.«
»Schwester Maria«, rief die Äbtissin. »Lauft zur Krankenstation und holt Schwester Lucrezia!«
Die dicke Nonne nickte ernst und wandte sich zum Gehen. In diesem Moment tauchte Schwester Pureza hinter einem Steinbogen auf. Aller Augen waren auf sie gerichtet, als sie nun unerschrocken auf den Generalabt zuging und direkt vor ihm stehen blieb.
»Schwester Lucrezia hat ein schweres Trauma erlitten. Sie darf noch nicht gestört werden.«
Saviano kniff die Augen zusammen.
»Wer bist du, Weib, dass du so mit mir redest?«, fragte er barsch.
Schwester Pureza zuckte mit keiner Wimper. Ihr Blick war fest auf den Mann geheftet. »Die Novizin wurde schon einmal als Pfand für den Gürtel benutzt, das wird kein zweites Mal geschehen«, sagte sie bestimmt.
Der Geistliche starrte sie an. Sie trat einen Schritt näher und sagte leise: »Ihr werdet den Gürtel nicht hier finden. Nur der Propst hat den Schlüssel, wie Ihr seht. Und diesen Schlüssel trägt er immer bei sich.«
Saviano folgte dem scharfen Blick der Alten und musterte den verschnörkelten Eisenschlüssel, der an Inghiramis Gürtel hing.
»Wenn der Gürtel nicht mit Hilfe dieses Schlüssels entfernt wurde, dann gibt es keine weltliche Erklärung für sein Verschwinden.«
Das Gesicht des Propsts verdüsterte sich. Schwester Pureza trat zwei Schritte auf ihn zu.
»Propst Inghirami, niemand außer Euch kann für den Gürtel verantwortlich gemacht werden. Das weiß die Kurie. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit, eine, an die Ihr vielleicht noch nicht gedacht habt.«
»Und die wäre?«, stieß Inghirami verächtlich hervor, konnte jedoch nicht überspielen, dass er gebannt an den Lippen der Alten hing.
»Seit Hunderten von Jahren hat die Jungfrau vom Gürtel sich wieder und wieder für Frauen und Kinder eingesetzt«, begann sie. »Sie ist dem Bischof von Medina erschienen und hat ihn fast zu Tode erschreckt, weil er einer ihrer Getreuen Unrecht getan hat.«
Schwester Pureza wandte sich um und sah, dass auch der Generalabt aufmerksam lauschte.
»Die Madonna vom Heiligen Gürtel ist die Schutzpatronin von Müttern und Kindern. Wenn der Gürtel nicht mehr in der Truhe ist, dann hat ihn ja vielleicht die Muttergottes an sich genommen, um ihren Zorn deutlich zu machen. Und das zu Recht!«
Niemand regte sich. Auch die Äbtissin nicht, die zu gerne näher getreten wäre, um zu hören, was die alte Nonne sagte.
»Die Jungfrau spricht durch den Heiligen Gürtel«, fuhr Schwester Pureza fort. »Sie wirkt ihre Wunder durch ihn. Sie teilt uns ihre Wünsche durch den Gürtel mit, Propst Inghirami.«
»Du bist eine närrische alte Frau«, sagte der Generalabt, der endlich seine Sprache wiederfand.
Schwester Pureza wandte sich zu ihm um. So klein und verhutzelt sie auch war, in diesem Moment schien der Größenunterschied zwischen den beiden überhaupt keine Rolle zu spielen.
»Was könnte es sonst sein, außer dass die Jungfrau
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