Das Bildnis der Novizin
erbitten.«
So verstrichen die frühen Morgenstunden, bis die Glocken des Stefansdoms zu läuten begannen. Da wurden die Fenster und Türen aufgerissen, und die Leute strömten auf die Straßen und Plätze und machten sich auf den Weg zum Kathedralenplatz.
Angeführt von Äbtissin Bartolommea durchschritten die Nonnen des Klosters Santa Margherita das zweiflügelige Tor und betraten die Straßen von Prato.
»Heilige Muttergottes, was für ein schöner Tag«, schwärmte Schwester Antonia und die anderen nickten zustimmend. Tatsächlich hing über ihnen ein wolkenlos blauer Himmel, eine kühle Brise wehte und die Sonne stand bereits hoch am Firmament.
Die Gläubigen, die sich zu dieser frühen Stunde in kleinen Gruppen auf den Weg zur Piazza machten, traten respektvoll beiseite, um die Nonnen durchzulassen, deren Habit sich sanft im Morgenwind bauschte. Äbtissin Bartolommea stimmte das Gloria an und die anderen Nonnen schlossen sich an.
Als sie sich dem Stefansdom näherten, hörten die Nonnen Fanfaren und das Wiehern von Pferden. Einige Schwestern wurden von der Freude und dem Überschwang der Menge angesteckt, andere wieder machte der Lärm, die laute Musik, die grellen Farben und das Gedränge ganz nervös. Die scheue Schwester Piera wünschte sich in ihrer Panik gar einen Moment lang hinter sichere Klostermauern zurück.
Bei der Piazza angekommen, gelang es den Schwestern, sich durch die Menschen nach vorne, an ihren angestammten Platz unweit von der hübsch gezimmerten Tribüne, zu begeben und dort aufzustellen.
Kurz darauf ertönte heller Fanfarenschall und die ausgelassene Menge verstummte schlagartig. Die Prozession begann.
An der Spitze ritten Propst Inghirami und Generalabt Saviano auf prächtigen schwarzen Rössern, geschmückt mit grünen, goldbestickten Seidendecken. Hinter ihnen folgte zu Fuß der gutaussehende Ottavio de Valenti, dessen dichtes schwarzes Haar vor Pomade glänzte. Beiderseits von ihm gingen Knaben mit Fahnen, auf denen das Wappen der Medici zu sehen war. Darauf folgten zwei Reihen von jungen Mädchen, darunter auch die beiden ältesten Töchter de Valentis. Die Mädchen gaben sich Mühe, dem Anlass entsprechend recht fromm dreinzuschauen, doch verrieten ihre strahlenden Gesichter ihren Stolz und ihre Freude. Die Trompeten wurden von den Jünglingen der Stadt geblasen, in grünem Wams und Seidenstrümpfen; ihre dichten schwarzen Locken zitterten bei jedem Trompetenstoß. Die letzten beiden Knaben trugen ein farbenprächtiges Banner der Muttergottes mit dem Kinde, dahinter kamen die stolzen Mütter der Stadt, viele davon schwanger, andere mit ihren Säuglingen auf den Armen, die fröhlich krähten oder nach der Milch ihrer Mutter plärrten.
Beschlossen wurde die Prozession von den Brüdern und Schwestern der verschiedenen Orden, der Augustiner, Dominikaner, Franziskaner und Karmeliter, deren schlichtes Schwarz, Braun oder Weiß einen ruhigen Kontrast zum Rot, Grün und Purpur der festlich gekleideten Bürger bildete.
Als die Prozession wieder zur Kathedrale zurückkehrte, versammelte man sich unter der Kanzel des Heiligen Gürtels.
Und nun trat der Propst auf die Kanzel hinaus und wurde mit lautem Jubel begrüßt. Er hob die Arme und zeigte den Heiligen Gürtel vor, der im Schein der Sonne schimmerte und funkelte. Wie auf Kommando schlug die Menschenmenge das Kreuzzeichen. Schweigend erwartete man die Worte des Propsts.
»Heiligste Mutter Maria, o Himmelskönigin, gesegnete Jungfrau, wir haben uns heute hier versammelt, um dich zu ehren und deinen Namen zu preisen. Heilige Maria, Muttergottes, voll der Gnade, wir bieten dir unsere Liebe und Anbetung dar. Möge uns die Gnade und Kraft deines heiligen Gürtels beschützen und leiten. Wir ehren dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«
Die Menge drängte näher zur Kanzel, die Arme sehnsüchtig ausgestreckt, um der Reliquie noch näher zu sein. Doch nur den Ordensbrüdern und -schwestern, darunter den Nonnen von Santa Margherita, war die hohe Ehre vorbehalten, den heiligen Gegenstand drinnen in der Kapelle berühren zu dürfen. Mutter Bartolommea begann ihre Schäfchen durchs Gedränge zum Eingang des Doms zu führen. Spinetta packte unwillkürlich Lucrezias Hand, um diese im Gedränge der Nonnen und Mönche nicht zu verlieren. Lucrezia drückte die Hand ihrer Schwester und hob sie zu einem raschen Kuss an die Lippen. Dann ließ sie sie los. In diesem Moment hatte sich auch Schwester Pureza zu den
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