Das Bildnis der Novizin
drückte es ihrer Schwester in die Hand.
»Ich verstehe das alles nicht, Lucrezia, ich versteh’s einfach nicht. Aber ich bleibe bei dir, solange du mich brauchst. Ich bleibe bei dir, bis du Nachricht aus Rom erhältst.«
Als Ser Cantansanti in der Werkstatt auftauchte, war Fra Filippo bereit. Lucrezia und Spinetta hatten sich ins Schlafzimmer des Mönchs zurückgezogen, wo sie nicht gesehen werden konnten.
Der Entwurf des Medici-Triptychons stand auf zwei Staffeleien im Sonnenschein, der durch das große Frontfenster hereinfiel. Daneben standen das fast fertige Paneel mit dem heiligen Antonius, sowie das fertige Paneel mit dem heiligen Michael. Die silberne Rüstung des heiligen Kämpfers glitzerte und funkelte in der Sonne, und die Züge des heiligen Antonius verströmten Stärke und Demut. Fra Filippo war zufrieden mit diesen Porträts der beiden Schutzpatrone von König Alfons von Neapel und war sich sicher, dass Ser Francesco ihre außerordentliche Qualität erkennen würde.
»Ich werde versuchen, die Bilder noch vor dem Abgabetermin fertig zu stellen«, sagte Fra Filippo mit einer Verbeugung, während der Emissär sich die Arbeiten ansah. »Es ist mein einziger und sehnlichster Wunsch, meinen ehrenwerten Mäzen, den großen und gütigen Giovanni de Medici, zufrieden zu stellen.«
»Das klingt weit besser als alles, was ich seit langem von Euch gehört habe, Lippi«, sagte Cantansanti erfreut und trat näher an die Bilder heran. »Was ist der Grund für diesen erstaunlichen Sinneswandel?«
In diesem Moment drang ein Klappern aus dem Schlafzimmer, gefolgt von einem hektischen Flüstern. Die beiden Männer sahen sich an. Erneut ein Flüstern, leise zwar, aber dennoch deutlich als die Stimme einer Frau zu erkennen. Ein wissendes Lächeln glitt über Cantansantis Züge.
»Ah, Fra Filippo, nichts ist inspirierender für einen Mann als ein hübsches Mädchen«, sagte der Emissär. »Ich selbst liebe das weiche Fleisch einer Frau ebenso sehr wie jeder andere. Aber ich wünschte, Ihr würdet Eure Weiber nicht gerade dann in Eure Werkstatt bringen, wenn das Auge der Medici auf Euch ruht.«
Cantansanti verschränkte die Arme, richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Fra Filippo zögerte nur einen Moment. Der Emissär war ihm schon früher eine Hilfe gewesen. Er war ein starker Mann mit einem eigenen Kopf, aber er war fair.
»Selbstverständlich vergesse ich niemals, dass das Auge der Medici auf mir ruht, wie Ihr Euch ausdrückt«, entgegnete er. »Wie Ihr seht, sind die Skizzen fertig und ich habe bereits begonnen, sie auf Platte zu übertragen. Ihr könnt die Entwürfe mitnehmen, wenn Ihr wollt.«
Der Emissär warf einen Blick auf die superben Skizzen und nickte zufrieden.
Ermutigt fuhr Fra Filippo fort: »Die Frau, die Ihr gehört habt, hat eine entscheidende Rolle bei meiner Arbeit am Triptychon gespielt. Sie ist gestern hier eingetroffen und ersucht mich um meinen Schutz.«
Cantansanti hob spöttisch die Brauen. »Euren Schutz? Sie scheint Euch ja nicht besonders gut zu kennen.«
»Bitte, ich mache keine Witze. Die Novizin ist aus dem Kloster geflohen, um Ihre Ehre zu retten.« Fra Filippo schob Cantansanti einen Keramikkrug mit Wein hin. »Hoher Herr, Ihr habt mir schon ein paarmal geholfen, und ich fürchte, ich brauche erneut Eure Hilfe, vielleicht mehr als je zuvor. Und das Mädchen ebenfalls.«
Fra Filippo senkte die Stimme und wies mit einem Nicken auf die Madonna auf seinem Entwurf.
»Seht Ihr ihr Gesicht?«
Cantansanti nickte. »Atemberaubend.«
»Es ist das Gesicht der Novizin Lucrezia, die vor kurzem mit ihrer Schwester in Santa Margherita eingetroffen ist.«
Cantansantis Miene verfinsterte sich.
»Die Novizin, die Euch auf meine Intervention hin Modell stand?«, fragte er zornig. »Sie ist eine Nonne, Filippo. Sagt bloß nicht, dass sie dort in Eurem Schlafzimmer sitzt!«
»Sie ist keine Nonne«, beeilte sich der Maler zu versichern und schob erneut den Weinkrug zu Cantansanti hin. »Sie ist nur Novizin und ist außerdem nicht aus freien Stücken ins Kloster eingetreten; man hat sie dazu gezwungen.«
Der Maler hielt inne. Was konnte er anbieten, das er nicht bereits angeboten hatte? Sein Herz und seine Seele flossen in seine Arbeit. Sein Fleisch gehörte seiner Arbeit. Wie oft hatte er sich um seiner Arbeit willen Nahrung und Schlaf versagt? War nicht sein ganzes Leben eine Hingabe an sein Werk und damit an Gott? Diente er seinen mächtigen Gönnern, den Medici, nicht mit seinem
Weitere Kostenlose Bücher