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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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»Schönheit zu sehen bedeutet Gott zu sehen. Die Schönheit auf Erden ist ein Spiegel der Liebe Gottes im Himmel.«
    »Ein speculum majus «, flüsterte sie.
    »Ja, ein speculum majus .« Er legte seine große Hand an ihre Wange und sie regte sich erst wieder, als sie Spinettas Schritte hörte.
    Die Äbtissin wusste: Die Novizinnen mussten schleunigst ins Kloster zurückkehren, bevor sie Santa Margherita zum Gespött der ganzen Gegend machten und den Zorn des Generalabtes noch mehr auf das Kloster lenkten. Sie hatte sich wohl oder übel damit abfinden müssen, dass Fra Piero vorübergehend als Klosterkaplan agierte. Was hielt den Generalabt davon ab, auch sie von ihrem Posten zu entheben, wenn ihm dieser neuerliche Skandal zu Ohren kam?
    »Es ist mir egal, wie du es anstellst«, sagte sie daher zu Schwester Pureza, »aber ich will die beiden wieder hierhaben. Du hast mehr Zeit mit Schwester Lucrezia verbracht als jede andere von uns. Du bist diejenige, die darauf bestanden hat, sie zu ihrem eigenen Schutz fortzuschicken. Und jetzt holst du sie mir wieder zurück.«
    Die Alte machte sich am nächsten Tag kurz nach der Tertia allein auf den Weg. Während sie die Via Santa Margherita entlangging, schwor sie sich, die Novizin noch enger an sich zu binden als zuvor. Sie würde Lucrezia ihren Schutz anbieten und sie würde fest bleiben.
    Auf dem Domplatz fragte sie einen Burschen, wo der Maler wohnte.
    »Bruder Filippo?« Der Junge deutete auf ein Haus mit Strohdach. »Dort drüben.«
    Schwester Pureza straffte die Schultern und marschierte kampfbereit darauf zu.
    »Ich bin’s, Schwester Pureza.« Sie rüttelte an der Tür. »Lasst mich rein!«
    Spinetta sprang auf und flüchtete ins Schlafzimmer. Lucrezia setzte rasch das halbfertige Häubchen, an dem sie genäht hatte, auf ihr unbedecktes Haupt und rannte ihrer Schwester hinterher.
    Fra Filippo wartete, bis die beiden jungen Frauen verschwunden waren, dann ging er zur Tür, öffnete sie und blickte in das runzelige Gesicht der alten Nonne. Ihr Zorn war unübersehbar: Ihre Augen blitzten, die Lippen bildeten einen schmalen Strich.
    »Ich weiß, dass die Novizinnen hier sind, Kaplan «, sagte sie, wobei sie das letzte Wort höhnisch betonte. »Ich verlange, dass Ihr sie mir sofort aushändigt.«
    »Schwester Pureza«, entgegnete dieser ruhig, »du weißt genau, dass ich nicht länger euer Kaplan bin.«
    »Eben. Und deshalb haben die Novizinnen auch nichts mehr bei Euch verloren. Gebt sie heraus.«
    »Ich halte sie nicht gegen ihren Willen fest.« Fra Filippo blockierte mit seiner massigen Gestalt die Tür.
    »Ihr Platz ist im Kloster.«
    »Aber du hast Lucrezia selbst von dort fortgeschickt«, entgegnete der Maler freundlich. Er wusste, dass er mit Zorn oder Ungeduld bei der alten Nonne nichts erreichte. »Zu ihrem eigenen Schutz hast du sie gehen lassen.«
    »Ich habe sie ins Haus von Ottavio de Valenti geschickt! Nicht zu Euch, Bruder, um sie zu ruinieren!«
    Lucrezia konnte im Schlafzimmer alles hören. Sie beugte sich vor und flüsterte ihrer Schwester ins Ohr: »Bitte vergiss nicht, du hast mir versprochen, bei mir zu bleiben.«
    »Schwester Lucrezia ist ein Engel«, sagte Fra Filippo ruhig. »Ich empfinde höchste Achtung vor ihr.«
    »Dann lasst mich rein und mit ihr sprechen«, fauchte Schwester Pureza. »Die Mutter Oberin will ihr vergeben, wenn sie jetzt gleich mit mir ins Kloster zurückkehrt. Beide Novizinnen müssen zurückkommen.«
    »Lucrezia will aber nicht zurück«, entgegnete Fra Filippo.
    Er passte einen Moment lang nicht auf und schon war die gewiefte alte Nonne unter seinem Arm hindurchgeschlüpft. Rasch durchquerte sie den Vorraum und schaute sich in der Werkstatt um. Ihr Blick fiel auf einige Stoffstücke, die zugeschnitten auf dem Boden ausgebreitet lagen.
    »Was soll das?«, fragte sie barsch. »Arbeitet Ihr neuerdings auch als Näher, um Euer Einkommen aufzubessern?«
    Schwester Pureza beugte sich vor und hob ein Stück gelbe Seide auf, das offenbar ein Ärmel werden sollte. Lucrezia hatte ihn erst an jenem Morgen zugeschnitten.
    »Ich verlange zu erfahren, was hier vorgeht!«
    »Das Mädchen ist im Kloster des Generalabts nicht sicher«, sagte der Maler. »Sie kann nicht mehr dorthin zurück.«
    Lucrezia machte einen Schritt auf die Tür zu. Sie wollte nicht, dass man sie in ihrem Versteck fand, und sie fürchtete außerdem, der Mönch könnte zornig werden und in seinem Zorn ihr bitteres Geheimnis verraten. Sie richtete sich auf, schob ihr

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