Das Bildnis der Novizin
ganzen Talent und all seiner Kraft?
Ja, er gab bereits alles, was er hatte. Und doch – da war noch etwas. Am Grunde des Brunnens hatte er anstelle von tiefster Verzweiflung einen Quell neuer Hoffnung gefunden.
»Glaubt mir, dies ist keine Laune – und ich kenne das Mädchen auch nicht im biblischen Sinne, wie Ihr mir unterstellt«, erklärte Fra Filippo. Dann fiel er vor Ser Francesco auf die Knie, und der Mann, der gelernt hatte, alle nur möglichen Untugenden von Fra Filippo zu erwarten – von Stolz über Aufschneiderei bis zu Dickköpfigkeit -, war vollkommen überrumpelt, ja entsetzt.
»Um Himmels willen, jetzt steht wieder auf«, befahl Cantansanti. Er griff nach dem Chianti und nahm einen kräftigen Schluck. Er hielt dem Mönch den Weinkrug hin, doch dieser schüttelte den Kopf.
»Ich stehe erst auf, wenn Ihr mich angehört habt, Ser.«
»Dann sprecht, Mann, sprecht.« Der Emissär behielt mit einem Auge den Mönch im Blick, mit dem anderen die Altarbildentwürfe. Er wünschte, er hätte noch ein drittes Auge gehabt, dann hätte er die Küchentür im Blick behalten können. Falls die Novizin auftauchte. Das hätte er sich nur ungern entgehen lassen.
»Jetzt spuckt es schon aus, Bruder. Sagt, was Ihr auf dem Herzen habt, aber bittet mich nicht schon wieder um Geld. Geld gibt es erst, wenn wir wirkliche Fortschritte gesehen haben.«
»Ich will kein Geld«, sagte der Mönch verächtlich. »Für dieses Mädchen würde ich mein ganzes Geld hingeben. Mein Leben, wenn es sein müsste.«
»Auch Euer Leben wollen wir nicht, Filippo. Wir wollen Euer Meisterwerk, und wir wollen es in Neapel. Und jetzt sagt endlich, warum Ihr vor mir kniet, oder ich gehe.«
Fra Filippo kramte in den Taschen seiner Kutte herum und holte einen Brief hervor, den er sorgfältig geschrieben und mit blauem Wachs versiegelt hatte.
»Ich möchte Lucrezia heiraten«, sagte er und streckte dem Emissär den Umschlag hin. »Es steht alles in diesem Brief. Ich flehe darin meinen großen Patron und Mäzen um Hilfe und Unterstützung an. Und ich bitte Euch, Ser Francesco, ihm dieses Schreiben eigenhändig zu überreichen.«
Cantansanti nahm noch einen kräftigen Schluck. Er trank, bis der Krug leer war. Den Umschlag nahm er nicht.
»Ihr habt den Verstand verloren«, sagte er schließlich kühl. »Ihr seid ein Mönch.«
»Das gebe ich auf. Ich tue alles, was nötig ist.«
»Den Medici ist besser gedient, wenn Ihr im Orden bleibt«, sagte Cantansanti. Er stellte den Krug ab. »Ich kann nichts versprechen.«
»Ich bitte nur um eine Petition in meinem Namen. Ihr wisst selbst, wie viele Ausnahmen die Kirche schon auf Bitten der mächtigen Medici gemacht hat.«
Cantansantis Augen verengten sich. Die Macht der Medici wurde respektiert, nicht beschworen. Er packte den Mönch am Arm und zog ihn auf die Beine. Dann nahm er den Umschlag.
»Ich werde tun, was ich kann. Und Ihr, Bruder Filippo, werdet tun, was Ihr müsst.«
Cantansanti steckte den Brief in seine Brusttasche und verließ mit schweren Stiefelschritten und wehendem Umhang die Werkstatt. Draußen schüttelte er den Kopf und hätte beinahe gelacht. Der Mönch war sogar noch unverschämter, als er bisher angenommen hatte.
In Florenz erstieg ein zutiefst erschöpfter Generalabt Saviano die zwei breiten Stufen, die zur Heilig-Geist-Kapelle der Barbadori führten. Er bekreuzigte sich und kniete vor dem Marmoraltar unter der hohen, gewölbten Decke nieder. Diese kleine, private Kapelle im großen Dom zierte ein herrliches Altarbild der Madonna mit Kind und war schon seit langem die bevorzugte Zuflucht des Generalabts. Hier konnte er in Ruhe beten, Buße tun und Erlösung finden.
Die Kapelle lag im Halbdunkeln und war von einem wunderbaren Duft erfüllt. Er hatte angeordnet, dass man die Balustraden täglich mit Zitronenöl polierte und abends Weihrauch abgebrannt wurde.
Die Hände vor der Brust gefaltet, hob Generalabt Saviano den Blick zur Jungfrau mit dem Kinde, die im Kerzenschein gut zu erkennen war. Ihre Züge verströmten eine heilige Ruhe, göttliche Vergebung und Verständnis. Doch war es in der Regel nicht das Gesicht der Madonna, noch das der sie umgebenden Engel und Heiligen, worauf der Generalabt sich bei seinen regelmäßigen Besuchen konzentrierte. Denn unter diesem Altarbild, das kein anderer als Fra Filippo Lippi im Auftrag der Familie Barbadori geschaffen hatte, war auf einem wundervoll bemalten Unterbau der heilige Augustinus in einem Moment höchster Ekstase
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