Das Bildnis der Novizin
Haar unter das Häubchen und trat ins Atelier.
»Hier bin ich, Schwester Pureza.«
Die Nonne und der Mönch fuhren herum und starrten Lucrezia an. Sicher war ihr nicht bewusst, wie atemberaubend schön sie aussah! Sie trug ein Gewand aus ungebleichtem Leinen, ihre blonden Locken quollen unter ihrem Häubchen hervor und um ihre Schultern lag ein blaues Seidentuch. Sie sah aus, als wäre sie einem Bild entsprungen.
»Lucrezia!«, rief Schwester Pureza schockiert. »Wie siehst du aus? Was ist mit deinem Habit?«
Lucrezia, die ihre alte Freundin und Ratgeberin schrecklich vermisst hatte, brach bei diesen Worten in Tränen aus.
»Schwester«, rief sie, »o Schwester, vergib mir!« Lucrezia rang die Hände und verriet durch diese Geste mehr, als sie beabsichtigte. Die erfahrene alte Nonne vermutete sofort das Schlimmste. Sie ging zu Lucrezia und packte sie am Arm.
»Fehlt dir etwas? Hat man dir Gewalt angetan?«
Lucrezia riss erschrocken die Augen auf.
»Nein, du irrst, Schwester Pureza.« Sie schüttelte den Kopf. Hilflos irrten ihre Augen zu dem Maler, appellierten an ihn. »Nichts ist geschehen, was ich nicht wollte.«
Schwester Purezas Griff um Lucrezias Arm wurde fester.
»Du und Spinetta, ihr kommt jetzt sofort mit mir ins Kloster zurück«, befahl sie. »Du kannst nicht hierbleiben und so schon gar nicht! Du bringst Schande über deinen Namen und den Namen deiner Familie, und dann kannst du nirgendwohin.«
»Das stimmt nicht«, warf Fra Filippo mit seiner tiefen Baritonstimme ein. »Ich kann mich um sie kümmern.«
Schwester Pureza blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Sie starrte den Mönch an.
»Habt Ihr den Verstand verloren, Bruder Filippo? Ihr handelt ohne jede Scham! Das ist absurd. Ihr werdet das Mädchen mit Euren teuflischen Ideen verderben!«
Fra Filippo schaute Lucrezia an, richtete seine Worte ausschließlich an sie.
»Ich werde dich heiraten, Lucrezia, ich habe es dir versprochen. Ich trete aus dem Orden aus und heirate dich.«
»Das ist der Teufel, der hinter ihrer Schönheit steckt!«, stieß Schwester Pureza zornig hervor. »Habe ich dir nicht gesagt, dass du aufpassen musst, Lucrezia?«
Lucrezia schlug die Hände vors Gesicht. »Nein!«, rief sie.
Fra Filippo trat vor.
»Geh jetzt«, sagte er, drohend über Schwester Pureza aufragend. »Geh jetzt, Alte.«
Schwester Pureza funkelte den Mönch zornig an. Dann schaute sie an ihm vorbei zu Spinetta.
»Schwester Spinetta«, rief sie. »Komm du zumindest mit. Rette dich.«
Spinettas Gesicht verzerrte sich. Sie wäre so gerne in die Arme der alten Nonne geeilt, hätte ihr so gerne alles erzählt. Nur das Versprechen, das sie Lucrezia gegeben hatte, hielt sie zurück.
»Es tut mir leid, Schwester«, sagte Spinetta schwach, »aber ich kann nicht.«
Schwester Pureza schaute einen nach dem anderen an. Fra Filippo trat vor.
»Du gehst jetzt besser, Schwester Pureza«, sagte er entschlossen.
Die alte Nonne rührte sich nicht, blickte von einem Gesicht ins andere.
»Willst du es dir nicht noch einmal überlegen?«, fragte sie Lucrezia ein letztes Mal. Als das Mädchen den Kopf schüttelte, machte sie kehrt und verließ niedergeschlagen die Werkstatt. Lucrezia mochte glauben, dass der Mönch die Macht, den Willen und die weltlichen Mittel besaß, um sie zu versorgen. Aber sobald der Maler einmal den Zorn Roms und die Missbilligung seiner mächtigen Gönner zu spüren bekäme, dann wären sein Entschluss oder seine Lust wohl kaum noch stark genug, um weiterhin zu der jungen Frau zu halten.
Und diejenige, die darunter leiden würde, wäre Lucrezia. So, wie sie selbst vor langer Zeit hatte leiden müssen.
17. Kapitel
In der sechzehnten Woche nach Pfingsten, im Jahre des Herrn 1456
M ehr als eine Woche verging und noch immer kam keine Nachricht aus Rom. Lucrezia und Spinetta schliefen und erwachten zusammen in der Schlafkammer des Mönchs, und jeden Morgen wickelten sie ein Stück Brot und etwas Käse für ihn ein, bevor er sich auf den Weg zum Dom machte, um an seinen Fresken zu arbeiten.
Rosinas Mutter war krank, daher blieb das Mädchen zu Hause. Aber Paolo kam täglich vorbei, um gegebenenfalls einige Erledigungen für die beiden zu machen. Morgens gingen die Frauen zur Wasserpumpe, füllten die Holzeimer des Malers und schleppten frisches Wasser zu seiner Werkstatt zurück.
Allein im Haus, fegten die Schwestern den Boden und beteten oder arbeiteten an einem anständigen Kleid für Lucrezia, das sie aus den Stoffresten
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