Das Bildnis der Novizin
abgebildet, als ihn der Pfeil des Glaubens durchbohrte.
Lautlose Gebete murmelnd blickte der Generalabt auf die drei Pfeile, die in der Brust des Heiligen steckten. Er senkte den Kopf.
»Mein großer, heiliger Ordensbruder«, murmelte er. »Du weißt, wie lange ich meine Fleischeslust unterdrückt habe und wie schwer es mir gefallen ist. Und jetzt hat mich dieses Weib, diese Evastochter, verführt. Ich bitte dich, sag mir, was ich tun muss, um mich von dieser Sünde reinzuwaschen.«
Auf der dick gepolsterten Fußbank kniend, richtete Saviano den Blick auf die schlichte braune Kutte des Heiligen, auf die Bücher und das Tintenfässchen, die auf einem Schreibtisch neben der Gestalt abgebildet waren, auf das feine goldene Licht, das ins Arbeitszimmer des Heiligen schien. Der Generalabt liebte dieses Bild, auch wenn er für dessen Schöpfer keine Zuneigung empfand. Bis jetzt war es ihm nicht schwergefallen, sich bei seinen Gebeten nur auf den Teil des Altarbilds zu konzentrieren, das den heiligen Augustinus zeigte. Doch nun gelang es ihm trotz aller Willensanstrengung nicht mehr, den Namen und das Gesicht des Malers aus seinen Gedanken zu verbannen. Immerzu sah er die hünenhafte Gestalt des Malers vor sich und daneben die zierliche der Novizin; die Augen des Malers waren vorwurfsvoll auf ihn gerichtet, die Augen der Novizin voller Entsetzen.
»Sie wurde mir geschickt, um mich zu prüfen. Und ich habe versagt«, stieß Saviano heftig hervor.
Zitternd schloss er die Augen. Er mochte gar nicht daran denken, was er getan hatte. Er konnte den scharfen Gestank in dieser Küche noch riechen, konnte das jungfräuliche Blut, das er vergossen hatte, nicht vergessen.
Er riss die Augen auf und sog mit tiefen Atemzügen den frischen Duft von Zitronenöl und Weihrauch ein.
Er sagte sich, wie schon so oft in seinem langen Kirchenleben, dass es der heilige Augustinus war, der jenen Satz geprägt hatte, der uns wahre Vergebung lehrt: Liebe den Sünder, aber verabscheue die Sünde.
»Mit der gesammelten Kraft meines Glaubens, o Herr, verabscheue ich meine Sünde«, betete der Generalabt und richtete den Blick auf die Pfeile, die in der Brust des Heiligen steckten. »Und ich verabscheue den Mann, der mich zu dieser Sünde verführt hat. Ich werde mich nicht von Fra Filippo zugrunde richten lassen!«
Wut schäumte in ihm auf. Er erhob sich, und sein Blick fiel auf das Gesicht Lippis, das der Maler selbst dem Altarbild beigefügt hatte. Es war ein junges Gesicht, er sah darauf aus wie ein Florentiner Straßenjunge – was er ja auch einst gewesen war.
Nein, so schwor sich der Generalabt, der Maler wird meinen Orden nicht weiter verhöhnen und mit Füßen treten! Und auch nicht das Kloster von Santa Margherita! Wenn es eine Sünde gab, die bestraft werden musste, dann die Sünde dieses Kerls, der die Novizin aus dem Kloster und in seine Werkstatt gelockt hatte; die Sünde der Verführung, die Sünde Evas.
O ja, sagte sich Saviano: Lippi ist die Schlange, Lucrezia Eva, und er, Generalabt Ludovico Saviano, Oberhaupt des Augustinerordens, war das Opfer dieses teuflischen Gespanns geworden.
Er wusste jetzt, was er zu tun hatte. Er bekreuzigte sich und verließ mit ausgreifenden Schritten die Kapelle.
Saviano betrat sein Arbeitszimmer und klingelte sogleich nach seinem Sekretär.
»Bring mir Wein und Käse«, befahl er und ließ sich in seinen Polsterstuhl sinken. Erst jetzt merkte er, wie lange er schon nichts mehr gegessen hatte. Als das schlichte Mahl vor ihm stand, säbelte er mit einem stumpfen Messer große Stücke vom Käse und stopfte sie sich in den Mund. Als er mit seiner Mahlzeit fertig war, diktierte er seinem Sekretär ein Schreiben an Propst Inghirami von Prato, ein Schreiben, das bei nächster Gelegenheit auf der Piazza von Prato verkündet werden würde.
»Fra Filippo Lippi wird hiermit von seinen Pflichten als Kaplan des Klosters von Santa Margherita enthoben. Per Dekret des Ordens des heiligen Augustinus, an diesem, dem zehnten September im Jahre des Herrn vierzehnhundertsechsundfünfzig.«
16. Kapitel
Am Mittwoch der vierzehnten Woche nach Pfingsten, im Jahre des Herrn 1456
D u könntest vielleicht zu Signora Valenti gehen«, schlug Spinetta vor und streckte ihre kleine Hand über den Tisch. »Und ihr erklären, was dich aufhielt.«
»Was soll ich ihr denn sagen?« Lucrezia hatte diese Fragen satt, sie hatten sie in den vergangenen Tagen wieder und wieder erörtert. »Willst du, dass ich ihr sage, dass ich
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