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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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fertigten, die sie in der Kleidertruhe gefunden hatten. Sie hielten Hände und Geist beschäftigt, aber es war eine Zeit großer Ängste und Sorgen.
    Spinetta betete täglich zu Gott, dass Lucrezia ein Einsehen haben und ins Kloster zurückkehren möge. Lucrezia dagegen betete, ihre Monatsblutung möge eintreten, und sorgte sich, weil ihr Gesicht fülliger, ihre Wangen weicher wirkten. Aber trotz aller Sorgen und Ängste war Lucrezia in einem Winkel ihres Herzens froh und glücklich.
    Sie freute sich jeden Abend auf die Rückkehr des Malers, und dieser versäumte es nie, ihr ein kleines Geschenk mitzubringen; einmal war es ein Kamm für ihr Haar, ein andermal ein Säckchen Orangen. Erst heute früh hatte sie ihr Haar in ein neues Haarnetz gewickelt, das er ihr vom Markt mitgebracht hatte.
    Und wenn sie einmal nicht mit Arbeiten oder Beten beschäftigt war – Spinetta hatte sie angefleht, die Gebetszeiten weiterhin einzuhalten -, dann durchforstete sie stundenlang die zahlreichen Skizzen des Malers, die aus allen Ecken der Hütte quollen. Sie wagte es nicht, irgendetwas von seinem Platz wegzuräumen, doch wischte sie die Regale sauber und stapelte die Holzplatten fein säuberlich an der Wand. Dabei fand sie zahlreiche Studien von der Madonna mit Kind und eine umfangreiche Sammlung von Verkündigungsszenen, Entwürfe für das Gemälde, das er der Kirche von San Lorenzo in Florenz zum Geschenk gemacht hatte. Als sie sah, wie viele Monate, ja Jahre an Arbeit in diesen Skizzen steckte, welch fromme Hingabe an seinen Glauben, wunderte sie sich umso mehr über das Schicksal, das sie zu ihm geführt hatte und dass er gesagt hatte, dass er sie liebte. Sie betete inbrünstig, dass bald Nachricht aus Rom kommen möge und dass sie positiv ausfiele.
    Fra Filippo stand mit dem Prokurator im Eingang zur Kapelle. Im Hintergrund waren seine Assistenten damit beschäftigt, frisch verquirltes Eigelb mit zerstoßenem Azurit und Malachit zu vermengen.
    Die beiden Männer lehnten an der Kalksteinwand, zwischen sich ein Weihwasserbecken.
    »Ich meine es ernst, Piero, ich liebe sie aufrichtig«, flüsterte der Maler erregt. »Und jeder Tag, der ohne eine Antwort aus Rom vergeht, ist eine Qual für sie, das sehe ich deutlich. Ich kann es nicht länger ertragen, sie leiden zu sehen. Ich kann nicht mehr länger auf die Antwort des Papstes warten.«
    Fra Piero musterte seinen Freund eingehend.
    »Man hört, Papst Kalixt III. sei ernstlich krank«, sagte der Prokurator. »Aber er war nie ein Freund der Medici. Für Kunst interessiert er sich auch nicht. Ich bezweifle, dass er deiner Bitte nachkommt.«
    »Ich weiß«, sagte Fra Filippo bedrückt. »Aber ich habe in letzter Zeit einiges über das Sakrament der Ehe gelesen. Ich glaube, es gibt einen Ausweg.«
    Der Mönch ging zu seinem Arbeitstisch und holte ein blaues Buch, auf dem in goldenen Lettern stand: Ein Kommentar zu den Sakramenten des Christentums . Er öffnete es an einer markierten Stelle und gab es seinem Freund zu lesen.
    »Zu Zeiten von Innozenz III. genügte ein einfacher Satz, um die Ehe zu schließen. Hier, da steht es.« Fra Filippo deutete auf die betreffende Stelle. »Schau, man musste nur sagen, ›Ich nehme dich zum Weibe‹ und ›Ich nehme dich zum Manne‹, und dann war man verheiratet.«
    Dass in dem Buch hinzugefügt wurde, dass nur der körperliche Vollzug die Ehe auch gültig machte, erwähnte er nicht.
    »Was hältst du davon, Piero?« Er legte die Hand auf den Arm des Prokurators.
    Fra Piero war ein praktisch veranlagter Mensch. Er hatte das Beste aus seinem Leben gemacht, indem er alles nutzte, was die Kirche bot, und sich jenes, was die Kirche weder sanktionierte noch zur Verfügung stellte, auf diskrete Weise selbst beschaffte. Er wusste sehr wohl, dass man seinem berühmten Freund noch mehr Freiheiten ließ als ihm selbst – solange er als Maler nicht die Gunst der Obrigkeit verlor. Aber was er nun verlangte, war doch ein bisschen zu viel. Fra Piero zögerte, bei einer Handlung mitzuwirken, die Rom möglicherweise als Affront auffassen würde.
    »Warum willst du sie überhaupt heiraten, Filippo? Saviano ist weg, und niemand behelligt dich. Warum kannst du die Dinge nicht lassen, wie sie sind, oder das Mädchen wieder ins Kloster zurückschicken?«
    Fra Filippo schaute in die Kapelle, zur jenseitigen Wand, wo der junge Marco gerade damit beschäftigt war, dem Gesicht des toten heiligen Stephanus noch etwas Grau hinzuzufügen. Marco war kaum der Pubertät

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