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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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gar kein Licht mehr !« Worauf es eine kurze, dichte Pause gab, dann ein Händeklatschen von ihm – das Geräusch ihres netten, warmen, nach Aftershave riechenden Vaters, der in die Hände klatschte – und danach wurde es tatsächlich absolut und brutal dunkel.
    Und sie hatte gesehen, dass die Badezimmertür zu war, sie hatte sie selbst geschlossen, als sie hereinkam, und den Riegel vorgeschoben – Beth legt Wert auf Privatsphäre und mag es nicht gern zugig und zieht den Riegel schon zu, seit sie es schafft, ohne sich die Finger zu klemmen – und Sie hat vor, wenn sie älter ist, viele verschlossene und verriegelte Türen zu besitzen, mit dahinter verstauten Geheimnissen: Sie wird sich Geheimnisse ausdenken. Aber dies war noch kein Geheimnis, bloß eine sicher verschlossene Tür, die ihr Vater nicht berührte, nicht öffnete, und der Lichtschalter war hier drinnen bei ihr – auf ihrer Seite der Tür – aber das Licht ging trotzdem aus – Zauberei – die Dunkelheit kam – Zauberei – das Zimmer fiel in einen Zauber – und es war fast Winter, ein Abend im November, draußen schon tiefe Nacht, und sie war allein in ihrer Badewanne voller plötzlich dicker werdendem Wasser, diese Drohung an ihrem Leib – Zauberei.
    Und sie hatte sie gesehen: die wahre Zauberei, wie in den Büchern. Sie hatte gesehen, wahrhaftig gesehen, wie die Hand ihres Vaters direkt durch die Tür hereingriff – wie ein schreckliches graues Ding aus einem Traum – so eine bleiche und unnatürliche Hand drückte sich durchs Holz und streckte sich zum Lichtschalter und – klick – ging es aus.
    Bloß dass es kein Klick gab, nur die Pause und dann die Hände ihres Vaters aufeinander – normale, normale, ganz normale Hände, die sie halten und kennen und Sachen heil machen – die Handflächen ihres Vaters zusammen und sicher, draußen vorm Badezimmer – Klatsch – und dann ihre Stimme sehr laut und schreiend und Echos und Platschen und so eine erstickende, nasse Verlorenheit, die in sie hinein, durch sie hindurch griff.
    Und dann ging das Licht wieder an.
    Gut.
    Kein Hinweis darauf, wie.
    Bloß ein anderer Zauber – zur Wiederherstellung, zur Rettung des Verlorenen.
    Gut.
    Und die Tür war immer noch verriegelt, es war immer noch kein Geräusch zu hören außer ihren eigenen, doch dann kam die Stimme ihres Vaters hinzu, die besorgt und sanft vor dem Badezimmer erklang, seine genauen Worte konnte sie nicht hören, weil sie selbst so einen Lärm machte, der von den Kacheln widerhallte, als nächstes war ihre Mutter zu hören, deren Schritte sich zu ihrem Vater gesellten und die ihn dann anschrie, ihm nichts durchgehen ließ, diesmal nicht.
    Ihr Streit zwang Beth zur Stille – eine schreckliche, große Stille – ehe sie beide riefen und versprachen und diskutierten und sie beruhigend aus der Wanne heraus, am verhexten Lichtschalter vorbei, nahe zum Türrahmen leiteten. Sie sprachen mit ihr, bis sie glauben konnte, dass sie tapfer war, und den Riegel zurückschob – mit zitternden Fingern, und das Metall kniff sie aus Trotz: Wenn eine Sache schiefgeht, gehen gleich alle schief – und dann öffnete sie ihnen die Tür, und sie fielen zu ihr herein und stürzten halb hin und hoben sie halb hoch, in eine pochende Umarmung.
    Vom Zauber zitternd und tropfend – so eine wundervolle, schreckliche Sache.
    Ihr Vater wickelte ihr hastig ein Handtuch um – immer eifrig und schnell, wenn ihre Mutter unzufrieden mit ihm ist, immer eingeschüchtert und verwirrt und irgendwo auch leicht erfreut.
    Beth bekam einen frischen Schlafanzug an – ein frischer Schlafanzug hat etwas Heilsames, nicht dass sie verwundet gewesen wäre, nicht direkt. Und sie bekam heiße Schokolade und putzte sich dann zusammen mit ihrer Mutter die Zähne im Badezimmer, falls sie dort Angst bekam, und dann ging sie ins Bett – die Schlafzimmertür offen, nicht mal ein Riegel dran und kein Geheimnis dahinter, außer dass sie manchmal unter der Bettdecke dem alten Kofferradio lauschte, mit dem Wimmern und Flüstern und Rauschen zwischen den Sendern im Ohr einschlief, daraus eine neue Sprache zu basteln versuchte – aber das war kein Geheimnis: Alle wussten es.
    Sie setzte sich aufrecht hin im Bett, gar nicht ängstlich – eher glücklich, atemlos, schlaflos. Sie hatte überlebt, und jetzt wollte sie wieder überleben, sich als unschlagbar erweisen. Draußen im Korridor hörte sie ihren Vater sagen: »Ich dachte, es würde ihr gefallen …«
    Und es gefiel Beth. Hinterher

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