Das blaue Haus (German Edition)
mehr war, das sich einfach zu Boden stoßen ließ. Zwanzig Minuten später war sie verschwunden.
Als Dane den Türknall hörte, stellte er das Wasser ab. Er war sich plötzlich nicht mehr so sicher, das Richtige getan zu haben. Was, wenn sie zur Polizei gehen würde? Nein, nicht Julie. Es floss das gleiche Blut in ihren Adern.
Dane trocknete sich ab und holte frische Kleidung aus seinem Zimmer. Er warf dabei einen kurzen Blick in Julies Zimmer, um auch ganz sicher zu sein, dass sie weg war. Sie war weg – zweifellos. Er richtete das Bad wieder her und wartete nervös auf Ragee.
Gegen sieben Uhr abends war der alte Mann immer noch nicht zu Hause. Mittlerweile war es dunkel geworden. Dane begann, sich ernsthafte Sorgen um ihn zu machen. Er sollte ihn vielleicht suchen gehen. Er dachte an das Herz des alten Mannes, dass er schon so oft strapaziert hatte. Vielleicht hatte er es diesmal überstrapaziert, und Ragee lag in irgendeiner Gosse, wo ihn niemand finden konnte.
Dane ging hinaus in den schwarzen Abend, um den alten Mann zu suchen. Zwei Busse in entgegengesetzter Richtung passierten ihn auf dem Weg in die Stadt, doch die Scheiben waren zu vernebelt, um jemanden darin zu erkennen.
Um neun Uhr stand Dane wieder vor dem Haus in der Markley Road. Es brannte immer noch kein Licht. Er drückte trotzdem zweimal auf die Klingel. Alles blieb ruhig. Dane sah zur Straße. Was blieb ihm anderes übrig, als vor der Tür zu warten. Er hatte keinen Schlüssel.
Raimund Geers war froh, dass er zu den Händlers gegangen war, auch wenn ihr Gespräch nichtssagend verlaufen war. Ihr letztes Zusammentreffen hatte eine spürbare Distanz hinterlassen, aber die Händlers waren immerhin eine wirkungsvolle Ablenkung für ihn. Niemand redete mehr über Dane Gelton, niemand redete mehr über den Zeitungsartikel.
Gegen halb zehn verabschiedete sich Ragee von ihnen und ging wieder schweren Herzens zu seinem Haus zurück.
Ein Schatten huschte vor seiner Haustüre, Ragee stoppte auf halbem Wege. Er beobachtete den Schatten und stellte dann voller Freude fest, dass es Dane war, der sich fröstelnd vor seiner Tür aufhielt. Er ging ihm freudestrahlend entgegen. Vertrauen, dachte er.
„Wo warst du so lange?“, fragte Dane leise.
„In der Bibliothek und bei den Händlers. Ich war in großer Sorge“, antwortete er und schloss eilig die Türe auf, als er sah, wie entsetzlich Dane fror.
Dane nickte. „Ich war auch in Sorge. Ich war heute Nachmittag mit Julie spazieren und habe alles mit ihr geregelt. Dann bin ich dich suchen gegangen. Ich habe dich nicht gefunden.“
Ragee nickte zurück. Er glaubte Dane. Er wusste nicht, warum, aber plötzlich empfand er großes Vertrauen zu ihm. Beide waren Zuhause und verloren nicht ein Wort mehr über Julie an diesem Abend.
Ragee zeigte Dane den neuesten Artikel über Sarah. Das warf ihn in der kommenden Nacht in wilde Albträume.
Januar 1997. Golden/Denver. Lansing Street. Bei Sarah.
Sarah konnte den Schock, den sie durch die Reporter erlitten hatte, tagelang nicht überwinden. Er durchfuhr ihre Glieder, ihre Gedanken und ihren Bauch. Die Kindsbewegung wollte sich auch nicht einstellen.
Vielleicht hatte ihre Mutter doch recht, und die Reporter hatten das Wissen über ihre Schwangerschaft tatsächlich von der University of Denver bezogen. Es war besser, dort nicht mehr hinzugehen. Sie beschloss, sich einem ortsansässigen Gynäkologen anzuvertrauen und war sehr überrascht, als der vermutete Arzt eine Ärztin war – Dr. C. Synacha. Das C. stand für Carola. Sie war klein, knapp vierzig und hatte dickes, langes, schwarzes Haar. Ihre Eltern waren Spanier aus Mexiko. Sie selbst war in Texas geboren und eine echte Amerikanerin mit texanischem Temperament. Und sie war nett und diskret; Sarah spürte es schon bei ihrem ersten Gespräch.
Ihr Termin war so gelegt worden, dass sie auf keine neugierigen Patienten stieß und unbemerkt die Praxis besuchen und verlassen konnte.
Sarah erzählte von ihrem Problem und stieß auf überraschend viel Verständnis bei Dr. Synacha. Die Ärztin drückte ihr vertraulich die Hand und sagte: „Sie werden das Kind sicherlich liebevoll austragen und erziehen. Es wird ein hübscher, gesunder und intelligenter Junge werden. Sie werden sehen. Das garantiere ich Ihnen. Und niemand wird etwas mitbekommen, bis Sie Ihr Kind in den Armen halten. Wir sollten uns später einmal über eine Hausgeburt unterhalten, um einer öffentlichen Geburt zu entgehen. Denken Sie einmal darüber nach.“
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