Das blaue Haus (German Edition)
Dr. Synacha erhob sich. „Wir sehen uns nächste Woche. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas spüren. Bis jetzt ist alles in bester Ordnung.“
Es waren die Worte einer ehrlichen Sorge und guten Betreuung, die Sarah nach Hause begleiteten, das, was sie zu Hause bei ihren Eltern nicht erfuhr und so gut gebrauchen konnte. Sie hatte vor zwei Tagen ihr neues Apartment in der Lansing Street bezogen und sich polizeilich jede Zudringlichkeit von Reportern untersagt. Als sie ihr Apartment betrat, fühlte sie sich beschwingt und sogar ein bisschen glücklich. Dr. Synacha hatte sie gut aufgebaut. Bei einer Tasse Tee fielen Sarah dann endlich die Worte ein, die sie für die Öffentlichkeit formulieren wollte, um dieser niederträchtigen Lüge von vorgestern entgegenzutreten. Jim wollte in den nächsten Tagen mit Linda und dem Baby vorbeischauen. Darauf freute sich Sarah sehr. Gegen Abend spürte sie die erste Kindsbewegung und rief Dr. Synacha noch spät abends in der Praxis an.
Januar 1997. Junction City. Asher Avenue. Ragees Haus.
Ragees Haus in Junction City war ziemlich ausgekühlt. Die Heizung stand seit einer Woche auf Notbetrieb, doch das störte Julie nicht. Sie brauchte keine Wärme für ihr Vorhaben, nur Licht und viel Zeit.
Sie begann, zuerst den Schreibtisch des alten Mannes zu durchstöbern. Diese verdammten Petroleumlampen gaben wirklich ein erbärmliches Licht. Sie hatte diese Dinger nie gemocht, auch wenn sie zu der Atmosphäre ihrer Kindheit unbedingt dazugehört hatten, genau wie dieser Schreibtisch, an dem ihr Pflegevater unzählige Stunden in der Nacht gesessen und geschrieben hatte. Shirley hatte ihn immer pedantisch gepflegt und poliert. Es war ein Erbstück seines Vaters – schwedischer Import. Das alles war jetzt unwichtig.
Julie riss die Schubladen unsanft aus den Gleitschienen und durchwühlte Mappen und Papiere. Auf dem Schreibtisch selbst hatte sie nur unwichtiges Material gefunden. Die Schubladen enthielten ebenfalls nur unwichtiges Zeug. Nur das große Fach auf der rechten Seite unterhalb des Tisches war verschlossen. Schon alleine diese Feststellung ließ Julie lächeln. Sie brach das Schloss mit einem Stahllineal auf und fand sie, die Mappe über Dane Gelton. Ausführlich bearbeitete Zeitungsartikel mit Fotos und Eigendokumentationen von Ragee waren ordentlich in dieser Mappe abgeheftet worden. Sie sah beiläufig auf die vielen Zeitungen der letzten Monate, die neben dem Schreibtisch gestapelt waren. Sie hatte gedacht, sie seien die Beschäftigungstherapie eines alten einsamen Mannes gewesen. Sie waren jedoch die Quellen, aus denen Ragees seine Dokumentationen zusammengestellt hatte. Nun hielt sie alles in ihren Händen. Dane war also nicht erst seit dem Krankenhaus bei Ragee eingekehrt, er lebte dort schon seit einigen Monaten –, und er war zweifellos der Mann, den sie wollte.
Sie legte den Stapel Unterlagen in einen Karton und verließ zufrieden das Haus. Um das aufgebrochene Schloss würde sie sich später kümmern, dann, wenn sie die dicke Mappe über Dane durchgelesen hatte.
Julie saß die ganze Nacht in ihrem Apartment, studierte die gesammelten Zeitungsartikel und verglich sie mit Ragees Aufzeichnungen.
Raimund Geers entschärfte die giftigen Schlagzeilen wie Jack the Ripper von Kansas oder Menschgeburt eines Monster mit bemerkenswert einfachen Erklärungen. Nichts blieb mehr wirklich böse, was Dane getan hatte, wenn man den Hintergrund dafür nur verstand. Doch auch die Enttäuschung sprach aus Ragees Aufzeichnungen.
Nichts war mehr gutzumachen, und zu verzeihen gänzlich unmöglich. Jim und Sarah waren auf einem Foto als Freund und Frau abgebildet. Auch aus ihren Kommentaren sprachen Enttäuschung und Hoffnung. Und immer wieder Sarah, der Engel in Danes Leben – seine Heilige.
Als Julie sie näher betrachtete, erschrak sie. Sarah sah ihr unglaublich ähnlich! Sie glich ihr beinahe vollkommen und hatte es nicht gewusst! Sie hatte sich instinktiv die Haare kürzen lassen. Sie hatte sich Ohrlöcher stechen lassen für Ohrringe, die sie früher niemals getragen hätte und die Sarah schon immer trug. Was für eine Waffe besaß sie gegen Dane? Sie hatte nichts von alledem gewusst und sich unbemerkt seinem Geschmack gefügt. Sie verstand nun Danes Benommenheit ihr gegenüber. Sie verstand nun vieles: die Nacht mit ihm, seine Verwirrung, überhaupt sein Problem mit ihr. Sie besaß die gewaltigste Waffe überhaupt gegen ihn. Er würde sie niemals töten können. Dafür war sie Sarah zu
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