Das blaue Haus (German Edition)
ihrer Seite und suchte wortlos nach Kleidung. Er konnte sie jetzt unmöglich ansehen. Der sexuelle Druck war weg, aber dafür entstand plötzlich ein anderer. Etwas Stärkeres hatte sich aufgebaut – schlimmer.
Dane setzte sich auf die Bettkante und ließ sein Gesicht in seine Hände fallen. Eine böse Ahnung machte sich in ihm breit. Er hatte etwas begonnen, das sicherlich bald in der Hölle enden würde, er hatte Julie angefasst! Gott, warum hatte er das nur getan? Und er hatte wieder einmal Ragees Vertrauen missbraucht – sich selbst wieder missbraucht. Warum nur? Warum nur überkam ihn immer wieder dieses Verlangen? Er fühlte sich wie ein Puzzleteil, das, egal wie man es drehte, einfach nicht passen wollte.
„Wirst du es Ragee erzählen?“, fragte er leise und sah sie dabei an.
„Willst du?“ Julie lächelte triumphierend.
„Nein, will ich nicht. Es ist nicht gut, dass es passiert ist.“
„Hast du ein Problem damit? Ich meine, du hast es doch auch getan, weil du mich liebst, oder?“
Da stand er nun und wusste ihr nicht zu antworten. Natürlich hatte er es nicht aus Liebe getan.
„Zieh dich an, bevor Ragee kommt“, sagte er schroff und ging wieder zu dem offenen Fenster.
„Wie tiefgründig bist du eigentlich?“, fragte sie, als sie sich fröstelnd anzog.
„Du würdest es nicht glauben.“
„Lass mich in dich fallen“, bat sie und umschloss seinen Körper von hinten wie eine jahrelang geliebte Ehefrau.
Jetzt fror es ihn. Er schloss mit einer hastigen Bewegung das Fenster, sodass sie sich aus der Umarmung lösen musste.
Unten fiel die Haustüre ins Schloss. Julie sog noch einmal seinen Duft in sich hinein und verließ das Zimmer. Dane setzte sich zurück auf die Bettkante und sah die kleinen Flecken auf seinem Laken. Blut! Sie war tatsächlich eine Jungfrau gewesen!
Ragee saß reglos am Esstisch und starrte durch die große Terrassentür in den schneebedeckten Garten, als Julie die Treppe hinunter kam.
Er hat nicht mit ihr geredet, dachte er, als er ihr fröhliches Gesicht sah. Gott sei Dank. Es war vielleicht noch etwas zu früh, wenn er an den Artikel in der Zeitung dachte. Julie sollte jetzt besser nicht mehr verärgert werden. Das brachte nur unnötige Komplikationen.
Dann erschrak Ragee, als er ein zweites Mal in ihr Gesicht sah. Dane hatte etwas anderes mit ihr gemacht! Gott bewahre! Julies Gesicht hatte das Strahlen einer soeben gewordenen Frau. Fluch und Wut mischten sich in die Gedanken des alten Mannes.
„Wer war das eben?“, fragte Julie und zog sich ihre Winterjacke über.
„Die Händlers von nebenan. Die wollten nur etwas wissen. Wo gehst du hin?“
„Spazieren.“
Ragee nickte. Nun würde er mit Dane längere Zeit allein sein. Das war gut, das war auch bitter nötig. Julie ging nie unter zwei Stunden spazieren. Ihrem Ausdruck nach zu urteilen, könnte es heute sogar noch etwas länger werden.
Julie trug ihren Kopf so aufrecht wie noch nie, als sie durch die Straßen ging. Sie dachte, dass es nicht ganz ausgeschlossen wäre, bald Mutter zu werden.
Wenn Ragee ihn nicht gerufen hätte, wäre ihm für heute der Mut versagt geblieben, dem alten Mann noch unter die Augen zu treten, doch Ragees Stimme klang böse und resolut.
Als Dane den Wohnraum betrat, las Ragee im Innenteil der Zeitung. „Setz dich“, befahl er barsch und schob die Angelegenheit mit Julie vorerst beiseite. „Es ist ein altes Bild von dir hier drin, sieht dir aber noch verdammt ähnlich.“
Dane konnte dem alten Mann nicht in die Augen sehen, dazu fehlte ihm wirklich der Mut.
„Hör zu, was sie da schreiben:
Sarah Gelton, geborene Newshorn, hat diese Woche erfahren, dass sie ein Baby erwartet. Das ist nichts Ungewöhnliches, so, wie es wohl vielen Frauen mindestens einmal im Leben widerfährt. Doch bei Sarah Gelton liegen die Fakten völlig anders. Der Vater des Kindes ist der am 18. Dezember '96 verstorbene Amokläufer und Mörder Dane Gelton aus Kansas, der nach dreimonatigem Aufenthalt in der Psychiatrie Heaven verstarb. Es stellt sich nicht nur für die werdende Mutter die Frage, welch missgestaltetes Baby sie Ende Juni diesen Jahres erwarten wird. Es wurde ihr dringend angeraten, das Baby direkt nach der Entbindung zu Forschungszwecken freizugeben.
Das Institut der Universität British Columbia führt Versuche in den Bereichen Gentechnik und Hirnforschung durch und ist an diesem Baby sehr interessiert. Vor knapp drei Jahren hatte sich auch der Vater Dane Gelton dort einem Untersuchungsprogramm unterzogen.
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