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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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musste mit gefesselten Händen und von je vier Soldaten bewacht den Weg zur Polizeiwache antreten.
    Ob es noch andere Mörder gab, die seiner Aufmerksamkeit entgangen waren, hoffte er von den Gefangenen bald zu erfahren. Aber sie redeten überhaupt nicht mehr, und obwohl man sie natürlich getrennt hatte und unter scharfer Bewachung hielt, versuchten alle, sich das Leben zu nehmen. Es gelang indes nur der jungen Frau, sich in ihrer Zelle zu erhängen.
     

119.
     
    In gewissem Sinne war es Charles Taylor, der Mukhopadhyaya das Leben rettete; respektive die Tatsache, dass dieser ebenso begeisterte wie begüterte Fotoamateur bei Bourne & Sheperd in Kalkutta den sündhaft teuren Prototyp einer Leach-Maddox erworben hatte: eine Magazinkamera, Gelatineverfahren, Belichtungszeiten von weniger als zwei Minuten! Die Ghats von Benares schienen ihm das geeignete Versuchsfeld, um diese Revolution auf dem Gebiet der Wirklichkeitsabbildung auszuprobieren.
    Also ließ Taylor sich auf dem stabilsten Boot, das er auftreiben konnte, ein paar Dutzend Meter hinausrudern und mit nicht weniger als vier Grundankern genau vor The Minarets , wie das Panchganga-Ghat auch genannt wurde, im Heiligen Fluss verankern wie ein besonders hartnäckiger Holzbock. Sicher, die bloße Bewegung der Badenden würde den größten Teil von ihnen wieder nur zu gespenstischen Schatten verblassen lassen, aber einen zumindest, einen halb nackten Fanatiker, der, bis zur Brust im Wasser stehend, stoisch nach Norden starrte, würde er wohl erwischen!
    Gowers, der nach der fruchtlosen Befragung der Gefangenen seine Verkleidung wieder an-, sprich eher abgelegt und seinen Beobachtungsposten am Ghat wieder eingenommen hatte, weil an diesem Morgen die Boote aus Lakhnau eintreffen mussten, verfolgte die lautstarken und gestenreichen Bemühungen des lästigen Fotografen amüsiert. Dennoch ging er immer wieder ein paar Schritte hin und her, weil er nicht einmal klein und im Hintergrund in irgendeine Trophäensammlung an der Fifth Avenue gelangen wollte. Dabei fiel ihm auf, dass der Lichtbildner seine Aktivitäten diesmal auf einen bestimmten Abschnitt des Ghats konzentrierte, und er entdeckte schließlich im morgendlichen Gegenlicht die dunkle Silhouette eines im Wasser stehenden Gläubigen, der offenbar keinen Muskel regte.
    Einmal aufmerksam geworden, prägte er dieses Bild seinem Gedächtnis ein und schloss dann die Augen, um es mit den vielen anderen Bildern zu vergleichen, die er dort in den vergangenen drei Tagen abgelegt hatte. Er hatte sich dabei nie sonderlich auf das Wasser und die Badenden konzentriert und fragte sich jetzt, ob dieser Mann schon gestern und vorgestern so oder ähnlich dagestanden hatte. Immerhin beschloss er, den Burschen im Auge zu behalten.
     
    Jaysingh war unter dem Zeichen der Schlange geboren; eine Frucht der endlosen Vergewaltigungen seiner Mutter in den Kerkern von Lakhnau und als solche stets ungeliebt, aber auch von frühester Kindheit an zu ihrem Rächer erzogen. Mit neunzehn Jahren, mitten im großen Aufstand, war er zu Fuß von Kalkutta nach Delhi gegangen, um sein Werk zu beginnen, dann dem Kaiser und seinen Söhnen nach Rangoon gefolgt, auf dunklen Wegen, zum zweiten Mal quer durch den Subkontinent, ein Ahasver der Rache.
    Der alte Mogul war ihm durch einen raschen, natürlichen Tod entkommen; aber Abu Zafar Bahadur Sha II. war auch nicht sein Ziel gewesen. In die Dienerschaft und das Vertrauen der Prinzen eingeschleust, hatte er zunächst Mirza Jahwan Baht durch ein Gift seiner Mutter beseitigt und den jüngeren, wilderen Bruder, Mirza Sha Abbas, auf einem Jagdzug erwürgt. Dieser Tod war ihm eine Wonne gewesen, und noch heute spürte er manchmal das verzuckende Leben unter seinen Fingern, hörte das verzweifelte Scharren der perlenbeschuhten Füße im weichen, faulenden Laub des Urwalds, roch wieder das Erschlaffen des königlichen Schließmuskels und sah die entsetzten Augen des jungen Mannes glasig werden, während er, Jaysingh, seinen Namen und seine Verwünschungen direkt in die königlichen Ohren zischte.
    Der kleine Prinz schließlich, ein einsamer Dreijähriger, dem er nachts ein nasses Seidentuch in den Mund stopfte und dessen Nase er dann mit nicht mehr als zwei Fingern zudrückte. Reicher Lohn war ihm für so viel Geschick zuteilgeworden, und jede Frau im blauen Haus, einschließlich seiner Mutter, hatte er beschlafen dürfen, ehe er vor ihr floh. Jaysingh floh, weil er schlau war und weil er selbst ihr den Rat

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