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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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einen Streich, den ihm seine Ohren spielten, runzelte die Stirn, als kein Zweifel mehr möglich war, und sah McClure skeptisch an.
    »Einer der beiden Kranken, Sir«, sagte der Ire, der Bradburys unheimliches Abenteuer im Fluss erst am vergangenen Abend erzählt hatte. Aber er merkte, dass seine Chancen mit jedem Schritt schwanden, den seine halb verhungerten Männer näher kamen. Als Armstrong mit einer über Tage sorgfältig gepflegten Entrüstung zuallererst meldete, dass nach der Abreise des Kapitäns noch zwei weitere Männer der Besatzung gestorben waren – der stille Johnny Eames am 11. April und der raue, lustige Kanoniersmaat John Kerr zwei Tage später –, war die Sache so gut wie entschieden.
    Kellett, der die Animosität zwischen McClure und seinem Schiffsarzt nahezu knistern fühlte, verfügte als ranghöherer Offizier, dass eine genaue Untersuchung des gesundheitlichen Zustands der Männer auf der Investigator durch einen neutralen, nämlich seinen Arzt, Dr. Domville, das weitere Vorgehen bestimmen würde. Domville würde zu diesem Zweck mit McClure in die Mercy Bay zurückkehren, und fände er die dortigen Verhältnisse auch nur halbwegs akzeptabel, sollte der verdammte Ire noch einen Versuch machen! Wenn nicht …
    Für diesen Fall gab Kellett McClure einen schriftlichen Befehl mit, dessen Umschlag er eigentlich nicht hätte versiegeln müssen.
     
    Die entkräfteten Männer von der Investigator lagerten zunächst auf dem Eis, bis die Schiffszimmerleute an Bord der Resolute Notquartiere für sie errichtet hatten. Die Einzigen, die Kellett mit einem seiner Postschlitten so schnell wie möglich Richtung Osten schickte, waren der unglückliche Wynniat und der einzige Mensch, den er in seiner Umgebung duldete, ohne in Schreie auszubrechen: sein Freund Samuel Creswell.
    Als die beiden etliche Wochen später auf der Northstar , Belchers Versorgungsschiff, auf Beechey Island eintrafen, hatten sie das unwahrscheinliche Glück, wenige Stunden vor Auslaufen eines Postboots nach England anzukommen, wurden also, wiederum nach wenigen Worten aus Wynniats Mund, sozusagen nur weitergereicht. Und so waren die beiden ersten Männer, die im Spätsommer 1853 die Umrundung des amerikanischen Kontinents auf der Reede von Plymouth abschlossen, die Ersten, die die so lange gesuchte Nordwestpassage komplett, wenn auch zu Fuß, durchquert hatten, ein Irrer und sein Wärter.
    Ihre Kameraden sollten weniger Glück haben.
     

118.
     
    Der schriftliche Befehl war sehr merkwürdig, aber ebenso eindeutig: Dem Überbringer sei jegliche von ihm gewünschte Unterstützung zu gewähren. Dennoch wollte sich Polizeileutnant William Edwards bei seinen Vorgesetzten noch einmal vergewissern, ob die Sache ihre Richtigkeit hatte, denn der Überbringer war ein unglaublich abgerissener Mensch, den man eigentlich nicht mehr als schmutzig, sondern als Schmutz bezeichnen musste. Eine wahre Kruste aus Asche und undefinierbaren Substanzen, die vor Zeiten vielleicht Farbe gewesen sein mochten, bedeckte alle Hautpartien, die seine jämmerlichen indischen Lumpen sehen ließen; so, als hätte der Mann sich seit Jahren nicht mehr gewaschen oder aber sich mutwillig mit all diesem Unrat eingerieben. Beide Möglichkeiten lagen der Vorstellungswelt des Leutnants Edwards, eines in den britischen Clubkreisen von Benares für seine unaufdringliche militärische Eleganz berühmten jungen Mannes, der in der Damenwelt der Kolonie auch als »Sweet William« bekannt war, gleichermaßen fern.
    »Sie sind John Gowers, Amerikaner?«, fragte er angewidert und noch immer ein wenig ungläubig.
    »Ja, Sir«, antwortete dieser weiße Nigger – wenn er denn unter dem ganzen Schmutz tatsächlich weiß war.
    »Und Sie verlangen von mir …« Der sorgfältig mit Pomade geglättete Poposcheitel des jungen Offiziers sträubte sich bei seinen eigenen Worten, »… dass ich auf dem Panchganga-Ghat einige Verhaftungen vornehmen lasse?!«
    »Ja, Sir«, sagte das Wesen, das er auf der Straße keines Blickes gewürdigt hätte.
    Das Empire hätte es in diesen Sekunden für William Edwards kaum stärker erschüttert, wenn ein Inder in die Polizeihauptwache von Benares marschiert wäre, um den Abzug sämtlicher Kolonialtruppen zu verlangen. »Ich werde das klären«, schnaubte der Leutnant, und die Spitzen seines frisch gewichsten dünnen Schnurrbarts bebten.
    »Tun Sie das, Leutnant«, erwiderte John Gowers und fügte lächelnd hinzu: »Und zwar schnell, wenn ich bitten darf,

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