Das blaue Siegel
Commander of the Arctic Squadron, war ein Rätsel für alle Menschen, die je mit ihm zu tun hatten, wahrscheinlich sogar für sich selbst. Man konnte nicht direkt sagen, dass der Mann unfähig war, aber er hatte sich auch nie und nirgendwo sonderlich ausgezeichnet, außer vielleicht durch die Verschrobenheit seiner Ideen. Irgendwie war er immer da, wenn und wo ein Ausweichkandidat für was auch immer gesucht wurde. Beförderungen, Auszeichnungen, Erhebungen in den Adelsstand, schließlich das Oberkommando. Belcher war nie die erste Wahl, wurde aber sonderbarerweise immer gewählt, auch wenn sich alle Verantwortlichen unmittelbar nach der Entscheidung verwundert die Augen rieben und sich fragten: Wie konnte das passieren?
Seine hervorstechendste Eigenschaft war seine schlechte Laune. Edward Belcher war sein Leben lang schlecht gelaunt – und entsprechend unverträglich. Schon auf der Reise ins Eis steigerte sich diese Unverträglichkeit zu einem wahren Menschenhass, der seinen Untergebenen rasch das Leben zur Hölle machte. Der Mann ließ Offiziere unter Arrest stellen, weil sie schriftliche Eingaben auf dem falschen Papierformat machten, ließ Matrosen auspeitschen, weil sie die Spur eines Polarfuchses nicht gemeldet hatten. Bei alldem ein Gerechtigkeitsfanatiker erster Ordnung, stellte Belcher dazu sogar komplizierte Untersuchungen an: Wer hatte die Spur wann gesehen, wann gemeldet, und wer hätte sie eigentlich sehen und melden müssen?
Auch hing er seltsamen Verschwörungstheorien an, die er vermutlich selbst nie zur Gänze überblickte, getreu dem Motto: Je weniger man die Welt versteht, desto mehr hält man sie für ein raffiniertes, jahrtausendealtes Komplott! Von Anfang an orakelte Belcher etwa in Briefen an seine Frau von geheimen Befehlen, die ihn zwingen würden, Orte aufzusuchen, deren Aufsuchen er für völlig sinnlos hielt. Schon Franklin hätte übrigens geheime Order gehabt, weshalb auch die ganze Suche nach ihm, jedenfalls die Suche in der Nordwestpassage, eigentlich nur ein riesiges Vertuschungsmanöver sei.
In der Arktis angekommen, stellte Belcher nach einem einzigen – und gleich gescheiterten – persönlichen Versuch einer Schlittenreise die bemerkenswerte Behauptung auf, dass Schlitten in diesen Breiten ein völlig ungeeignetes Beförderungsmittel seien und entsprechende Expeditionen bloßer Schwachsinn, eine Spielwiese für beförderungssüchtige Helden! Seine Offiziere und Mannschaften wiederum waren auf Schlittenreisen vor allem deswegen so versessen, weil sie wussten, dass ihr Oberkommandierender dabei auf keinen Fall mitkäme, und zeitweise hatte Belcher an Bord seines Flaggschiffes nur noch ganze fünf Männer unter Kommando, weil alle anderen das unsägliche Ziehen und Schleppen im Schlittengeschirr seiner Gegenwart vorzogen.
Dass ein derart unbeliebter Mann auch unter Verfolgungswahn litt, war nachgerade eine Selbstverständlichkeit. Die kurzen Sommermonate 1853 und 1854 verbrachte Belcher deshalb damit, in einem sechs Meter langen, gut verproviantierten gedeckten Boot den Wellington-Kanal herauf- und herunterzufahren, immer auf der Suche nach demjenigen seiner Schiffe, auf dem sein Leben seiner Meinung nach am wenigsten in Gefahr war.
Bei alldem war der Mann ständig mit Schreiben beschäftigt. Belcher verfasste ein Standardwerk über nautische Vermessung, schrieb bereits eifrig am Journal der »letzten der arktischen Reisen« und arbeitete in seinen stillen Stunden wie ein Besessener an dem Seefahrerroman Horatio Howard Brenton, a naval novel , einer Saga in drei Teilen, von der es heute im Dictionary of National Biography lapidar heißt, sie sei »unbeschreiblich dümmlich«.
Tatsächlich war der Admiral so seltsam, dass spätere Historiker die ernsthafte Theorie aufstellten, er habe sich während seiner langen Dienstjahre auf den Schiffen Ihrer Majestät an den Niedergängen einfach zu oft den Kopf gestoßen. Die Entscheidung, vier seiner fünf Schiffe im Eis aufzugeben, stellte er in einigen Briefen jedenfalls so dar, als sei ebendas von Anfang an das erklärte Ziel der Admiralität gewesen und gewissermaßen gegen seinen Willen geschehen. Nur durch einen so vernichtenden Fehlschlag habe man nämlich die Öffentlichkeit endlich von der Sinnlosigkeit der arktischen Expeditionen überzeugen können! Er, Belcher, sei nur eine Art Sündenbock für die hämische Presse und habe diese Rolle mit der Tapferkeit eines pflichtgetreuen britischen Offiziers gespielt.
Und so
Weitere Kostenlose Bücher