Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
Vom Netzwerk:
Siraj-ud-Daula 1756 beim letzten großen Sieg der Nawabs von Bengalen zerstört.
    Das Old Court House und das Writers Building, Sitz mehrerer Ministerien der Kolonialregierung, glichen mit ihren Arkaden, Säulen und Balustradendächern den venezianischen Handelspalästen des späten Mittelalters. Der Tank Square schied die südliche, zum Hafen am Fluss Hooghly hin gelegene White Town von den in seinem Norden liegenden Vierteln der Armenier, Araber, Juden und Anhänger der Lehren Zoroasters. Noch weiter nördlich hatten sich die Hindus niedergelassen, reiche Kaufleute und Banians ebenso wie die Ärmsten der Armen, und die Stadt wirkte hier, als ob jemand alle Häuser in die Luft geworfen hätte, die dann irgendwie wieder herabgefallen seien.
    Am Nordende des Tank Square fand Gowers schnell, was er suchte: den großen, aber etwas heruntergekommenen Hauptsitz von Charles Mordaunt & Company . Das Unternehmen schien tatsächlich in den letzten Jahren vernachlässigt worden zu sein, und bei seinen Recherchen im Handelsministerium – wieder einmal nicht unwesentlich gefördert durch Abdur Ruhimans Empfehlungsbriefe – fand der Investigator auch heraus, woran das lag. Der Eigentümer, Charles Mordaunt, war vor neun Jahren gestorben. Schon aus der Firmengeschichte, niedergelegt in den nackten Daten des Handelsregisters, ging hervor, dass er sich seines Besitzes nur ungefähr zwanzig Jahre lang erfreut hatte. 1838 hatte er die Vorgängerfirma Hall Incorporated übernommen und ihr seinen Namen gegeben. Wunderbar einfach, nämlich mithilfe der Steuerbehörde, die im gleichen Haus untergebracht war, fand er schließlich die letzte Privatadresse des Firmeneigentümers heraus; ein Haus an der Chitpore Road in der Black Town, das jetzt auf Mrs. Charles Mordaunt eingetragen war.
    Ehe er jedoch der Spinne ins Netz ging, wollte er zuerst Näheres über Mordaunt und seine Indigo-Firma herausfinden, und wer könnte ihm mehr darüber sagen als ihr eigentlicher Gründer, Edward Montagu Hall? Den Steuerlisten entnahm der Investigator, dass dieser Mann tatsächlich noch – hochbetagt – in Kalkutta lebte, traf ihn aber unter der dort angegebenen Adresse nicht an. Ein ziemlich verwirrter Kansamah , der sich offenbar mit seiner eigenen Familie im Hause seines Herrn eingerichtet hatte, sagte vielmehr, dass Sahib Hall schon seit Jahren im Old Hare’s Club am Course residiere, einer Flaniermeile unterhalb des neuen Fort William, im weißen Süden der Stadt.
    All das herauszufinden hatte nur einen Tag gedauert, aber was Gowers von britischen Herrenclubs zu wissen glaubte, ließ ihn befürchten, dass die Hindernisse nun deutlich größer werden würden. In London bestanden solche Clubs gemeinhin aus holzgetäfelten Hinterzimmern, in denen ein Haufen verwitterter alter Knaben herumsaß, die niemanden für einen Menschen hielten, der nicht unter Wellington gedient hatte und bei Talavera »dabei« gewesen war. Er war deshalb sehr überrascht, als er am nächsten Morgen, ohne auch nur seine Karte abgegeben zu haben, von einem livrierten Diener in die Räumlichkeiten des Old Hare’s Club eingelassen und auf dessen Veranda geführt wurde.
    Das Ganze schien eher ein Heim für leidende Pensionäre zu sein als ein Club, denn bereits auf diesem kurzen Weg begegnete dem Investigator ein halbes Dutzend Krankenschwestern, die kleine Geleitzüge von Rollstühlen und ihren Besitzern für einen gemeinsamen Morgenspaziergang zusammenstellten, und es liefen auch überall junge Inder von Zimmer zu Zimmer, die eher Pfleger als Diener zu sein schienen. Auf der Veranda schließlich saß ein gutes Dutzend alter Hasen, Knie und Füße in der Sonne und die Köpfe im Schatten und einer angenehm kühlen Brise, die vom Hooghly hinauf über die Parkanlage des Course strich. Auch saßen einige in den fantasievollsten Arten von Rollstühlen, die zum Teil allerdings schon länger nicht mehr bewegt worden waren.
    Die alten Herren hatten mehrheitlich Bärte, die bis weit auf die Brust reichten, und ihr Haar, soweit noch vorhanden, zeigte alle nur denkbaren Varianten von Weiß. Eine weitere Übereinstimmung waren die kleinen Ferngläser, die die alten Hasen in ihren gichtigen Fingern hielten und gelegentlich an die Augen setzten, um den Gouvernanten und jungen Mädchen hinterherzuschauen, die zu dieser frühen und kühlen Morgenstunde ihre Runden im Park drehten.
    »Ich sag dir, wenn die vor dir hergeht, reichen die Augen nicht – da musst du den Kopf bewegen!« Schon

Weitere Kostenlose Bücher