Das blaue Siegel
hab’s ausgegeben!« Der alte Mann lachte schäbig.
»Was wissen Sie von seiner Frau?«
»Nicht viel. Ein Niggermädchen eben, irgendeine Maharani-Schlampe, hab sie Gott sei Dank nie gesehn. Wahrscheinlich hässlich wie die Nacht, hässlich – aber stinkreich! So was hätte ich auch haben können, aber ich, ich hatte eben Stil!«
»Das Einzige, was du je umsonst von einer Frau gekriegt hast, waren Filzläuse, Hall«, sagte Bob Hickey und kicherte wieder.
»Hickey, ich schwör’s dir, ich säg deine Bremsen ab und schiebe dich in den Fluss!«, drohte Hall.
»Ganz ruhig, Gentlemen«, sagte Gowers.
»Sind wir, Sir«, erwiderte Hickey und gluckste in seinen Bart. »Wollen Sie mal sehen, wenn wir wütend werden?!« Darüber lachte sogar Edward Montagu Hall, bis seine Kiefer bröckelten.
»Margret!«, rief in diesem Moment einer der übrigen Greise, ganz am Ende der Reihe. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit hoben die anderen ihre Gläser an die Augen, und auch Gowers entdeckte jetzt auf der Promenade ein dralles junges Dienstmädchen, das man anscheinend durch einen Trichter in sein Kleid gegossen hatte und das lächelnd zur Veranda hinüberwinkte. Dann warf sie den Greisen eine Kusshand zu.
»Meiner!«, rief einer der alten Hasen.
»Ja, am Arsch, alte Stinkmumie!«, mummelte prompt ein anderer.
»Warum fragen Sie die Dame nicht selber, junger Mann?«, fragte in diesem Moment Edward Montagu Hall. »Soweit ich weiß, sitzt sie immer noch oben im blauen Haus auf ihrem Niggerarsch.«
»Ich erinnere mich!«
»Wo?«, fragte Gowers mit gespitzten Ohren.
»Im blauen Haus. Charlie Mordaunts alte Hütte oben im Niggerviertel. Soll ganz behaglich sein, junge Mädchen und all das.« Der alte Mann musterte Gowers spöttisch von oben bis unten. »Aber auch Jungen!«
»Leichtfüßige Jungs!«, keckerte Bob Hickey.
»Seine Frau hat sie für ihn auf der Straße aufgelesen, hieß es jedenfalls immer.«
»Vielen Dank, Gentlemen«, sagte Gowers, froh, sich endlich erheben zu können. »Sie haben mir sehr geholfen!«
»Bleiben Sie doch noch!«, protestierte Hall. »Trinken Sie noch einen!«
»Nicht in dieser Gesellschaft«, erwiderte Gowers.
»Niggerfreund, wie?«, fragte Bob Hickey und sah den Investigator zum ersten Mal an. »Hab ich doch gleich gerochen !«
»Konzentrieren Sie sich auf Ihre Blase, Hickey!« Erleichtert verließ Gowers dieses Beinhaus des Kolonialismus und mischte sich in das lebendige, bunte Gewimmel der Chowringhee Road.
131.
Schon seit die erste britische Expedition im Jahr 1817 ins Eis des Nordens gefahren war, fragten sich besorgte französische Politiker, was die Engländer dort oben eigentlich trieben. Insgesamt drei Bourbonenkönige hatte man jedoch nicht nachdrücklich genug für diese Frage interessieren können, und erst nach Ausrufung der Republik 1848 durfte man an eine Beantwortung zumindest denken. Da eigene Expeditionen mangels Finanzierung völlig ausgeschlossen waren, entschied man, eine Art Beobachter auszusenden, und stand dann noch drei Jahre lang vor dem Problem, wie man die Briten dazu veranlassen könnte, auf ihren eigenen Schiffen einen französischen Spion mit ins Eis zu nehmen.
Zuerst hielt man Ausschau nach einem abenteuerlustigen jungen Wissenschaftler, den man der britischen Krone irgendwie als europaweit gesuchten Spezialisten für Glaziologie, Hydrografie oder die arktische Flora und Fauna gewissermaßen unterjubeln könnte; aber zum einen waren diese Wissenschaften noch nicht erfunden, zum anderen hatten die Briten entsprechende Wissenschaftler selbst, und vor allem waren die arktische Flora und Fauna ganz einfach nicht üppig genug, als dass sie irgendeinen französischen Forscher – noch gar einen jungen, abenteuerlustigen – besonders intensiv interessiert hätten. Die Hintertür, die man schließlich nutzen konnte, war eigentümlich genug.
Lady Jane Franklin kämpfte länger als zehn Jahre so hartnäckig darum, das Schicksal ihres Gatten und seiner Männer aufzuklären, schrieb so viele Briefe, Petitionen, Protestnoten wegen mangelnder Aktivitäten auf diesem Gebiet, dass die höchsten Lords der Admiralität angeblich aus den Fenstern ihrer Amtssitze kletterten, um der streitbaren Dame nicht auf den Fluren zu begegnen. Im Jahr 1851 beschloss sie schon zum zweiten Mal, eine eigene, privat finanzierte Expedition in die Arktis zu schicken, erließ Spendenaufrufe, lancierte Zeitungsartikel, schrieb Bittbriefe an alle Königshäuser Europas und sogar an
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