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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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den Zaren von Russland, war sich andererseits aber auch nicht zu schade, höchstpersönlich zum Beispiel bei ihrem Schneider vorzusprechen, um hier zehn, da fünfzig und dort fünfhundert Pfund lockerzumachen. Lady Franklin investierte auch so viel von ihrem eigenen Vermögen in diese Expeditionen, dass sie später von Franklins Tochter aus erster Ehe verklagt wurde, da auf diese Weise der größte Teil des Familienerbes verloren gegangen war. 10
    Als deshalb 1851 ein blendend aussehender, äußerst gewinnender junger Franzose namens Joseph-René Bellot bei Lady Franklin vorsprach, sich als glühender Bewunderer ihres Mannes ausgab und fünfhundert Pfund sowie seine persönliche Beteiligung an einer Rettungsexpedition in Aussicht stellte, hatten die Franzosen endlich ihren Mann in den Polargebieten. Mit der winzigen Prince Albert fuhr Bellot im gleichen Sommer ins bislang nur wenig erforschte Prince Regent Inlet im Süden des Lancaster Sound. Seine begeisterten Nachrichten darüber, dass Somerset Island von der Boothia-Halbinsel durch einen kleinen, ganzjährig zugefrorenen Kanal getrennt sei, den sämtliche Briten bisher übersehen hätten, gehört vermutlich zu den eigentümlichsten Berichten, die der französische Geheimdienst je in seine Archive aufnehmen konnte.
    Was keiner wusste, war: Bellot war seit frühester Jugend von den Geschichten der englischen Arktis-Expeditionen fasziniert, verehrte Parry und Franklin tatsächlich wie Götter und wünschte sich nichts sehnlicher, als in ihre Fußstapfen zu treten. Durch die Bellot-Straße gelangte sein Name schließlich immerhin auf die gleiche Landkarte wie die seiner Helden. Als ausgewiesener Entdecker stieß er deshalb 1853 auf der Breadalbane zu Belchers Geschwader und diente dem Admiral – der dem Franzosen eher traute als seinen eigenen Leuten – in jenem verhängnisvollen Winter als Nachrichtenkurier von Schiff zu Schiff.
    Dass auf diese Weise ausgerechnet der einzige Franzose unter so vielen Engländern als einer der Ersten wusste, dass sämtliche Schiffe außer der Northstar aufgegeben werden sollten, hätte in französischen Geheimdienstkreisen vielleicht größeres Interesse geweckt als die Entdeckung einer unschiffbaren Wasserstraße – aber leider kam der fröhliche junge Mann nicht mehr dazu, einen entsprechenden Bericht zu schreiben. Auf seiner letzten Reise den Wellington-Kanal hinauf wurde er von einer Sturmböe erfasst und zwischen die Eisschollen des zufällig einmal offenen schwarzen Wassers geweht. Trotz sofortiger Suchmaßnahmen der ihn begleitenden kleinen Mannschaft fand sich nicht einmal seine Leiche. Das jedenfalls besagte die offizielle Nachricht von seinem Tod.
    Belcher selbst kam Ende Juli 1854 als letzter von allen Kapitänen nach Beechey Island und wohnte dort vier Wochen lang in einem eigens für ihn errichteten kleinen Haus, um der apokalyptischen Enge an Bord der Northstar zu entgehen.
     

132.
     
    Die Northstar unter Kapitän Pullen war ein bloßes Depotschiff, mit der Aufgabe, den mittels kleinerer Dampfer von England aus immer wieder erneuerten Proviant und Brennstoff des Geschwaders auf die überall im gefrorenen Meer festliegenden eigentlichen Expeditionsschiffe zu verteilen. Sie hatte also eine verhältnismäßig kleine Besatzung, hätte aber auch bis zu sechzig Leuten bequem Platz bieten können. Im Sommer 1854 waren jedoch nach und nach zweihundertachtundsiebzig Offiziere und Seeleute an Bord gekommen, und unter Deck lagen die Männer so eng nebeneinander wie auf einem portugiesischen Sklavenschiff. Wer irgend konnte, ließ sich auf die Insel abkommandieren.
    Beechey Island war eigentlich gar keine eigene Insel, sondern über eine schmale, bisweilen auch von Eis und Wasser überspülte Landzunge mit der riesigen Insel Devon verbunden. Erste Anlaufstelle und Stützpunkt so vieler Arktis-Expeditionen war Beechey hauptsächlich wegen zweier hervorragender Ankergründe: der Union Bay im Westen und der Erebus Bay im Osten, beide von den steilen Klippen der Insel gegen den gewaltigen Strom des Lancaster Sound geschützt und nach allen Erfahrungen der letzten fünfunddreißig Jahre zumindest in den Sommermonaten zuverlässig eisfrei.
    Hier hatte man bereits 1850 Spuren der verschollenen Franklin-Expedition entdeckt, die fünf Jahre zuvor offenbar auf Devon und Beechey ihr erstes Winterquartier aufgeschlagen hatte. Es fanden sich die Überreste eines aus Stein errichteten großen Hauses, einer Schmiede, einer Tischlerei und

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