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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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vergehende Mosaike.
    Dann wieder der jähe Schatten von Gängen, die tief unter die Erde zu führen schienen. In einem solchen Gang, an einer weiten Öffnung, stieg plötzlich der Geruch von Blut, Angst und menschlichen Exkrementen hoch. Gowers kickte ein Steinchen zur Seite und hörte es die breiten Stufen einer Treppe hinunterrollen, roch auch das Pech einiger vor nicht allzu langer Zeit erloschener Fackeln.
    Es dauerte lange, und er wusste, dass er im Kreis geführt wurde, weil die Sonne zuerst rechts und dann links auf sein Gesicht schien, wenn sie die Höfe durchquerten. Er glaubte sogar, eine bestimmte Stelle am Hall seiner Tritte wiederzuerkennen. Einmal blieb seine Führerin stehen, um ihr Schwert zu ziehen, und er spürte ihre Unruhe. Gab es im Innern der Anlage Feinde? Räuber? Raubtiere? Gowers hatte von den großen Menagerien in den Palästen der indischen Herrscher gelesen und hätte nur ungern mit verbundenen Augen vor einem daraus entsprungenen Tiger oder etwas Ähnlichem gestanden, aber da steckte die Wächterin ihr Schwert auch schon wieder in die Scheide.
    Zum letzten Mal fühlte er die Sonne in seinem Gesicht, hörte in nicht allzu großer Entfernung eine Art Springbrunnen, roch verkohltes Holz und darüber, dünn, aber durchdringend, den Duft frisch geschlagener Bäume. Sie waren jetzt fast da.
    Es ging noch einige Treppen hinauf und hinunter, bis er sich – nach seiner instinktiven Berechnung – etwa dreißig Meter neben und zwei Stockwerke oberhalb des Büros befand, in dem Ruhiman ihn empfangen hatte. Zuletzt waren sie durch etliche bewohnte Räume gegangen. Er hatte die Anwesenheit von Menschen gespürt, von Blicken, die auf ihn gerichtet waren, sogar leises Tuscheln gehört. Geruch von Frauen in weiten Kleidern, Schlafmatten, alter, süßlicher Duft von Parfüm oder Räucherwerk und der Zubereitung stark gewürzter Mahlzeiten. Danach eine knarrende, schmale Holztreppe und ein weiterer, diesmal merklich kühlerer und sauberer Gang.
    Der Raum, in dem sie schließlich anhielten, hatte einen Dielenboden und roch stark nach gebeiztem Holz. Und da war noch etwas. Gowers kannte diesen Geruch, konnte ihn aber zuerst nicht einordnen, weil er ihn lange nicht in der Nase gehabt und hier nicht erwartet hatte. Es dauerte eine Weile, ehe er ihn erkannte: Es roch nach Büchern.
     

23.
     
    Die Bestückung der schmalen Bordbibliothek unterlag auf allen seegehenden Schiffen der britischen Krone dem persönlichen Geschmack ihrer Kommandanten, in deren Kajüte sie sich auch normalerweise befand. Die Bibliothek verriet deshalb manchmal mehr über den Kapitän, als diesem lieb sein konnte; allerdings fiel das selten jemandem aus dem Mannschaftsstand auf, da die Zahl der Analphabeten unter den Seeleuten gemeinhin noch höher war als bei der Land- oder gar Stadtbevölkerung Englands. Kam ein normaler Matrose überhaupt einmal dazu, einen Blick auf das Bücherbord in der Kapitänskajüte zu werfen, fragte er sich im Allgemeinen also nur, warum der Kommandant so viele verschiedene Bibeln besaß, und gelangte dann zu dem Schluss, dass er eben ein frommer Mann war.
    Auf viele der Eiskapitäne traf das auch zweifellos zu, denn neben ein paar nautischen Büchern fuhren sie tatsächlich mit nicht mehr als der Bibel und vielleicht noch The Pilgrim’s Progress zur See. Manche, wie der cholerische alte John Ross, hatten sogar die Bibel ins Meer geworfen, solange es noch nicht zugefroren war. Diejenigen aber, die lasen, bevorzugten allgemein anerkannte Klassiker wie Lyly, Milton und Spenser, Aphra Behn und die Romane des 18. Jahrhunderts. Fielding und Sterne, Boswell und Dr. Johnson verkürzten den Kapitänen die wenigen Stunden, die nicht ihrer Pflicht gewidmet waren. Andere waren stolz auf eine Gesamtausgabe von Hakluyts monumentalen Principal Navigations, Voyages, Traffiques and Discoveries of the English Nation , die allerdings rasch unter dem Einfluss des Salzwassers litten.
    Ausgesprochene Schöngeister wie Edward Parry oder Sherard Osborn, die ja angeblich sogar mit Literaten befreundet waren, lasen dagegen die Romantiker in Vers und Prosa, also Byron, Shelley und Keats, und von dem allerdings mehr als bemerkenswerten Walfänger William Scoresby ging das Gerücht, dass er nie ohne Agrippa von Nettesheims De Occulta Philosophia in See stach. McClure lag irgendwo dazwischen; zwischen Shakespeare und Sir Walter Scott, mit vielleicht einem leichten Übergewicht an Iren und Schotten, also an Smollett und Swift. Das

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