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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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hätte töten können«, erwiderte Gowers hart.
    Zinat Mahal Begum ließ ihr Mundstück der Wasserpfeife sinken und sah nun ihrerseits den Mann im Spiegel direkt an. »Sie sind ein sehr guter Investigator«, wiederholte sie Abdur Ruhimans Worte mit einem Lächeln.
     

26.
     
    Die Enterprise hatte wieder nicht gewartet, und allein in seiner Kajüte verfluchte McClure seinen Oberkommandierenden, der offenbar ein Wettrennen ins Eis veranstalten wollte, anstatt ihm Zeit zu geben, sein Schiff in Honolulu sachgemäß zu verproviantieren. Zu allem Überfluss hatte die anscheinend schwachsinnige Besatzung eines einheimischen Küstenleichters eine komplette Ladung lebender Ochsen, die für die Investigator bestimmt war, aufgrund ihrer Unfähigkeit im Meer versenkt. Nur ein einziges Tier konnte gerettet werden, um der Expedition später im Norden als Frischfleisch zu dienen. Ein Dutzend Schafe, aus McClures Privatkasse bezahlt, konnte den Verlust nur unzureichend ersetzen, und die Berge von Früchten, die man in den letzten Tagen geladen hatte, würden in den nächsten allenfalls für Durchfall sorgen.
    McClure kochte. Natürlich verstand er Collinson. Er hatte es selbst gesagt, der schriftliche Befehl der Admiralität gab das Datum vor: Im August mussten die Schiffe im Eis sein. Logisch, dass der Mann sich beeilte, schließlich führte der in vielen Fahrten erprobte Kurs von den Sandwichinseln zur Beringstraße in einer weiten nordwestlichen Schleife dicht am asiatischen Festland entlang zunächst nach Petropawlowsk auf Kamtschatka. Dadurch umging man die gefürchteten Nordwestwinde, die die Schiffe gegen die kanadische Küste drückten, und vor allem die tückischen Gewässer um den Aleutengürtel, von denen bislang nicht mehr als ihre kolossale Gefährlichkeit bekannt war. Leider dauerte diese lange, aber sichere Reise etwa zwei Monate, und nicht erst die Böller- und immer häufigeren Revolverschüsse von Land her und auf den amerikanischen Whalern im Perlhafen verrieten ihm, dass man bereits den 4. Juli 1850 schrieb.
    Immer noch zögernd erhob sich der Kommandant und holte aus seiner in den letzten Tagen so oft umschlichenen Kartenkiste alle Aufzeichnungen über das Seegebiet nördlich von Vancouver Island hervor, breitete sie auf dem Tisch aus und begann, einen direkten Kurs zum Kap Prince of Wales abzusetzen. Ein riskantes Spiel, dachte McClure, als die Route ausgearbeitet vor ihm lag, und der Einsatz nicht weniger als das Schiff und sechsundsechzig Seelen!
    Als es klopfte, überlegte er kurz, ob er die Karte nicht wegräumen sollte, aber dann bedachte er, dass er Kapitän auf seinem Schiff war, und entschied sich wütend dagegen. »Ja?«
    »John Gowers, vom Landgang zurück!« Der Junge, der in der Tür stand, war offensichtlich angetrunken, und der frische Wind des Perlhafens hatte den Geruch von Tabak, Rum und dem billigen Parfüm der Huren nicht aus seinen Kleidern treiben können. Schmal und dunkel, das schwarze Haar zu einem geteerten Zopf gedreht, wie ihn in der königlichen Marine seit fünf Jahrzehnten niemand mehr getragen hatte, sah er aus wie ein Unterteufel für Wollust und Bosheit, dachte McClure, der zu seiner Erbauung gerade Lesage las.
    »Was gibt es denn, zum Henker?«, fragte der Kapitän entsprechend ungehalten.
    »Ein Gerücht, Sir«, sagte John und fügte mit der Andeutung eines Grinsens hinzu: »Die Offiziere wird es wohl nicht erreichen …«
    »Ich interessiere mich nicht für Hafengeschwätz, Mr. Gowers!« , drohte McClure.
    »Dann könnten Sie bald Kommandant eines Depotschiffes im Kotzebue-Sund sein, Sir«, sagte der Junge mit einer Angriffslust, die ihm nicht erst der Alkohol verlieh und deren Wirkung er sich selbst nicht bewusst war.
    »Achten Sie auf Ihre Worte«, sagte McClure und trat dicht an den jungen Matrosen heran, den er noch immer um mehr als einen Kopf überragte, »sonst liegen Sie wieder im Eisen!« Er hasste die seltsam gelassene Insubordination dieses Burschen.
    John schluckte schwer an der noch frischen Erinnerung an die knappe Woche, die er im Kabelgatt verbracht hatte. »Entschuldigung, Sir«, sagte er und bemühte sich jetzt immerhin um etwas seemännische Haltung. »Es geht um die Plover .«
    »Ja?« McClure runzelte die schon mehr als hohe Stirn. Die Plover , Kapitän Moore, war das am meisten belachte und bedauerte Kommando in der Flotte Ihrer Majestät, von der Admiralität dazu abgestellt, an der Küste Alaskas Versorgungsaufgaben zu übernehmen. Seit fünf Jahren

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