Das blaue Siegel
bringen?
Er erwachte durch ein leises Geräusch und schreckte doch hoch, als sei es ein Schuss gewesen. Es dämmerte jetzt ernsthaft, und die Feststellung, wie deutlich er seine eigenen Arme und Beine sehen konnte, entsetzte ihn. Dennoch war er bereit, um seinen Kopf zu wetten, dass er nicht länger als eine halbe Stunde geschlafen hatte. Er spürte es am Gewicht seiner Lider. Wieder das leise Geräusch, eine Art Klicken; diesmal war er sicher, dass es aus dem Hof kam. Vorsichtig schaute er hinab und sah als Erstes vier furchterregend große Hunde, die offenbar neben dem herabhängenden Seil genächtigt hatten und ihn erwartungsvoll anstarrten. Drei weitere liefen unruhig im Hof hin und her und schnüffelten aufgeregt, aber irgendwie planlos am Boden.
Ein erneutes Klicken, wieder weiter von der Mauer entfernt, und Mukhopadhyaya stellte befriedigt fest, dass es auch die Hunde gehört hatten. Es war also keine Einbildung. Er stand auf und starrte angestrengt in den Hof, auf den großen Ruinenkomplex, der sich grau vom Himmel gelöst hatte und nun auch für ihn klar erkennbar war. Was tat der Amerikaner? Wo war er? Wie konnte er hoffen, an den Hunden vorbeizukommen? Mukhopadhyaya ging nervös einige Schritte auf und ab, um einen womöglich besseren Beobachtungsposten zu finden. Er war jetzt ganz Wächter, ganz Auge, voll auf das erwartete dramatische Geschehen auf dem Hof konzentriert. Deshalb traf ihn der nächste Stein in den Rücken.
Sein Unterbewusstsein hielt den Stein offenbar für eine Kugel, denn er machte einen kleinen Luftsprung und wäre beinahe in den Hof gestürzt. Dann suchte er taumelnd Halt an der Mauer, sah nirgendwo eine Wache, die geschossen hatte, und duckte sich doch so tief wie möglich, um weiterem Beschuss zu entgehen. Er tastete instinktiv seine Brust, seinen Rücken ab, fand überraschenderweise kein Blut an seinen Händen und hörte dann von unten, von außen, jenseits der Mauer ein leises »Hee!«.
Immer noch davon überzeugt, dass ihm der Kopf weggeschossen würde, wenn er ihn so einfach über die Mauer steckte, schlich Mukhopadhyaya erst gute sechs Meter zur Seite, ehe er einen raschen Blick nach draußen riskierte. Da sah er, dass der Amerikaner schon einen neuen Stein aufgehoben hatte, und stand überrascht auf.
»Mr. Gowers …«, sagte er fast ein wenig beleidigt.
Gowers dämpfte die Lautstärke Mukhopadhyayas mit der Hand. »Kommen Sie herunter, und bringen Sie das Seil mit!«
So erfreut er auch war, seinen Posten endlich verlassen zu können, stellte diese Forderung den jungen Juristen doch vor ein erhebliches Problem. Wie sollte er am Seil hinunterklettern und es gleichzeitig mitnehmen? Rein logisch gesehen schien das möglich, indem man es lose um einen Mauervorsprung legte und beide Enden gleichzeitig packte, um daran abwärtszurutschen. Aber war er dieser Aufgabe technisch gewachsen?
Er sprang schließlich mehr, als er kletterte, und stürzte mehr, als er sprang, aber er fiel auf Gowers, der ihn mit vorgestreckten Armen erwartete. Eine feine weiße Brandnarbe in der Innenfläche der rechten Hand erinnerte den Anwalt noch lange an sein nächtliches Abenteuer, das er mithilfe dieser Verwundung – und der zerrissenen Uniform – seiner Frau gegenüber noch weit aufregender darstellen konnte, als es gewesen war.
41.
Nahe Kap Bathurst sahen sie erste Anzeichen menschlichen Lebens; die frischen Spuren eines Eskimostammes, der hier eine Weile gelebt hatte und erst vor Kurzem weitergezogen sein konnte. Fußspuren, Kajakspuren, Feuerspuren. Auffallend war, dass es kaum Abfall gab. Einige unbrauchbare, kleinere Knochen, alte, vergammelte Felle, morsche, zerbrochene, nicht mehr zu reparierende reusenartige Konstruktionen aus Treibholz und Robbendarm. Aber kein größeres Stück Holz, aus dem sich noch etwas machen oder auch nur schnitzen ließ, keine Essensreste, nicht einmal Kothaufen, die, nach Miertschings Auskunft, die Hunde fraßen. Auf dem Kap selbst sahen sie dann endlich fast dreißig Zelte und neun Winterhäuser.
Obwohl das Wetter gut und der Wind günstig war, beschloss McClure, an Land zu gehen, denn ihm lag sehr daran, durch diese Eskimos, wenn irgend möglich, Briefe an die weit im Süden liegenden Niederlassungen der Hudson Bay Company zu bestellen. Die Annäherung war schwierig, gefährlich und hätte leicht in einer Katastrophe enden können. Kaum waren die Boote mit achtzehn Matrosen, Seesoldaten, dem Kapitän und dem Übersetzer gelandet, näherte
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