Das blaue Zimmer
hielt dann inne. Anstatt etwas zu sagen, griff ich nach einem Rührlöffel und leckte den rohen Safranteig ab, der noch dran klebte. Ich war nicht so wie Lalla. Ich schloß gern Freundschaften und hätte es nett gefunden, die Royston-Jungs kennenzulernen. Sie hatten einen eigenen Ten nisplatz. Den hatte ich schon mal zwischen den Bäumen durchschimmern gesehen. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie mich eingeladen hätten, mit ihnen Tennis zu spielen. Mich störte es auch nicht, daß sie noch so jung waren. Doch für Lalla war das natürlich etwas anderes. Vierzehn ist ein komi sches Alter, nicht Fisch und nicht Fleisch. Und so wie Lalla aus sah… Manchmal dachte ich, wenn ich sie nicht so gern hätte und sie nicht meine Schwester wäre, könnte ich sie eigentlich überhaupt nicht ausstehen, weil sie so langes, weizenblondes Haar, eine wohlgeformte Nase, unglaublich blaue Augen und einen so sanft geschwungenen Mund hatte. Während der letz ten sechs Monate schien sie mindestens fünfzehn Zentimeter gewachsen zu sein. Ihre schlanken Beine sahen in den Blue jeans endlos lang aus, und erst vor kurzem war Mama mit ihr einkaufen gegangen und hatte ihr drei weiße, mit Spitzen be setzte Büstenhalter besorgt. Ich war dagegen klein und kantig, brauchte keinerlei Büstenhalter, und mein braunes, krauses Haar war entsetzlich struppig. Das Schlimme daran war, daß Lalla meiner Erinnerung nach nie so ausgesehen hatte wie ich, weshalb kaum zu erwarten war, daß ich jemals so aussehen würde wie sie. Das liegt an den Genen, hat mir mein Vater er klärt, als ich mich eines Tages ihm anvertraute, und dann hat er noch gesagt, er mag mich so, wie ich bin, doch das war mir jetzt nur ein schwacher Trost, weil er ja nicht mehr da war und mir nicht mehr sagen konnte, daß er mich gern hat. Beim Gedan ken an ihn saß mir ein Kloß im Hals. Ich legte den Rührlöffel weg und schaute Mrs. Bristow an. Vielleicht hatte sie bemerkt, daß mir die Tränen in die Augen stiegen, denn sie wurde mit einemmal sehr betriebsam, nahm ein Geschirrtuch vom Ha ken und bat mich, die Safranplätzchen aus dem Backofen zu holen.
Ein paar Tage später kam Mama vom Einkaufen aus dem Dorf zurück und erzählte uns, sie habe beim Lebensmittel händler Mrs. Royston getroffen und wir seien alle zum Tee ein geladen.
„Ich will nicht mitgehen“, sagte Lalla.
„Warum nicht?“ wollte Mama wissen.
„Diese Jungs sind mir zu grün. Nimm Jane und Barney mit.“
„Das wäre nicht sehr höflich.“
„Ich will da nicht hin.“
„Es ist doch nur zum Tee“, bat Mama inständig.
Ihr war anzusehen, wieviel ihr daran lag, so daß Lalla nach gab. Sie zuckte die Schultern, fügte sich seufzend in ihr Schick sal und sagte mit verschlossener Miene: „Na gut, meinet wegen.“
Wir gingen hin, und es wurde ein Reinfall. Die Jungs wollten mit uns ebensowenig zu tun haben wie Lalla mit ihnen. Meine Schwester benahm sich so kühl und unnahbar wie nur mög lich, ich stieß meine Teetasse um, und meinem Bruder, der für gewöhnlich mit jedem plauderte, verschlug es angesichts der Überheblichkeit seiner Gastgeber die Sprache. Nach dem Tee blieb Lalla bei den Erwachsenen, doch Barney und ich sollten mit den Jungs hinausgehen. „Zeigt Jane und Barney euer Baumhaus“, rief Mrs. Royston den beiden nach, als wir uns zur Tür hinaustrollten. Sie führten uns in den Garten und zeig ten uns das Baumhaus. „Da ist es“, sagten sie. Wir schauten hinauf, konnten jedoch nicht feststellen, wie man es erreichte.
„Wie kommt ihr da rauf?“ fragte Barney.
„Über eine Strickleiter, aber die ist nichts für Babys und auch nichts für Mädchen.“
„Barney ist kein Baby mehr.“
„Trotzdem, es ist unser Klubhaus, und ihr seid keine Mit glieder.“
Wir fanden uns damit ab. Wortlos schielte Barney noch ein mal zu dem Baumhaus hinauf. Es war ein herrlicher Bau, stabil und geräumig, und das runde Gesicht meines Bruders wurde ganz sehnsüchtig.
„Wer hat das denn gebaut?“ fragte er.
„Unser Cousin Godfrey. Er ist achtzehn. Der kann alles bauen.“
Dann tuschelten die beiden, verschwanden und ließen uns unter dem Baumhaus stehen, zu dem uns der Zutritt verwehrt war. Gleich danach tauchten sie mit ihren Fahrrädern wieder auf und kurvten auf dem Rasen herum, manchmal sogar frei händig, boten aber keinem von uns eine Probefahrt an. Wir standen wie angewurzelt da und ließen diese Schmach über uns ergehen, weil uns nichts einfiel, was wir sonst hätten tun
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