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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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seiner Jackentasche und ließ es im Wind flattern. „Ich fühle mich jedesmal sicherer, wenn meine Sachen gedruckt werden. Das beweist, daß ich nicht phantasiert habe.“
    „Oh, das freut mich. Und was machen Sie jetzt?“
    „Ich habe noch drei Monate von meinem Jahresurlaub, und danach nehme ich meine Vorlesungen in Brookbridge wieder auf.“
    „Was fangen Sie in den drei Monaten an?“
    „Das weiß ich noch nicht.“ Er grinste sie an. „Vielleicht gehe ich nach Tahiti und mache den Strand unsicher. Vielleicht bleibe ich hier. Hätten Sie etwas dagegen?“
    „Warum sollte ich was dagegen haben?“
    „Ich dachte, ich war vielleicht so grob und unfreundlich, daß Sie es nicht abwarten können, mich los zu sein. Ich finde nämlich, daß Geselligkeiten und alles, was dazugehört, unge heuer viel Konzentration erfordern. Ich darf nichts anderes im Kopf haben. Besonders, wenn ich ein Lehrbuch über Archäo logie schreibe. Können Sie das verstehen?“
    „Aber sicher. Ich fand Sie nie grob oder unfreundlich. Ich bin übrigens genauso schlimm. James wollte, daß ich Sie mal zum Abendessen einlade, und ich habe gesagt, Sie wollten bestimmt nicht kommen. Sie hätten zuviel zu tun, habe ich gesagt.“
    „Hatte ich vielleicht auch.“ Er wirkte verlegen; er runzelte die Stirn, versuchte die hochstehenden Haare mit dem Hand teller flach zu drücken. Er sagte: „James war gestern abend bei mir, um sich zu verabschieden. Als Sie sein Abendessen mach ten. Haben Sie das gewußt?“
    Jetzt war es an Veronica, die Stirn zu runzeln. „James war bei Ihnen? Nein, davon hat er kein Wort gesagt.“
    „Und da hat er mir erzählt, Sie wollten mich nicht zum Essen einladen, weil Sie dachten, ich würde nicht kommen wollen.“
    „Das hätte er nicht… “
    „Aber er hat hinzugefügt, sozusagen von Mann zu Mann, daß ich Sie vielleicht zum Essen einladen könnte.“
    „Er hat was?“
    „Er macht sich Sorgen, weil Sie so ganz allein leben. Er weiß, wie sehr Sie ihn und Sally vermissen. Und Sie dürfen sich nicht darüber ärgern, denn ich finde, es ist das Netteste, was ein kleiner Junge meines Wissens je getan hat.“
    „ Aber er hatte kein Recht…!“
    „ Er hat jedes Recht. Er ist Ihr Sohn.“
    „ Aber…“
    Er ging über die Einwände hinweg. „Ich habe natürlich ja gesagt. Und lade Sie hiermit ein. Und ich habe mir sogar er laubt, einen Tisch in dem neuen Restaurant in Porthkerris zu reservieren. Für acht Uhr. Wenn Sie absagen, wird es sehr schwierig für mich, denn dann muß ich hingehen und den Tisch wieder abbestellen, und der Oberkellner wird böse. Sie sagen nicht nein, oder?“
    Einen Moment lang konnte sie gar nichts sagen. Aber wie sie ihn so ansah, fiel ihr ein, was Frank über ihn gesagt hatte, und ihre Verstimmung und ihr Ärger schmolzen dahin. Man kann sich über Marcus Rydale ärgern, man kann sich über ihn amü sieren, man kann sich von ihm belehren lassen, aber es ist un möglich, ihn nicht zu mögen. Und sie dachte, und war von dem Gedanken überwältigt, daß er der netteste Mann sei, dem sie in den letzten Jahren begegnet war. All die Monate hatte sie ihr Haus mit ihm geteilt und es nicht geahnt. Aber die Kinder ahn ten es. Sie wußten es. James hatte es von Anfang an gewußt.
    Sie fing an zu lachen, gab sich, derart bedrängt, geschlagen. „Nein, ich sage nicht nein. Ich könnte nicht nein sagen, selbst wenn ich es wollte.“
    „Aber Sie wollen es nicht, nicht wahr“, sagte der Professor, und wieder war es eine Feststellung, keine Frage.

Amita
     

     
     
     
     
     
     
     
    D ie Nachricht von Miss Tollivers Tod stand heute morgen in der Zeitung. Mein Mann reichte sie mir über den Frühstückstisch, und der Name kam mir aus der eng gedruck ten Spalte entgegen wie ein Schrei aus der Vergangenheit:
     
    TOLLIVER. Am 8. Juli verstarb in ihrem 90. Lebensjahr Daisy Tolliver, Tochter des verstorbenen Sir Henry Tolliver, ehemaliger Gouverneur der Provinz Barana, und der Lady Tolliver. Die Einäscherung findet im engsten Familienkreise statt.
     
    Ich hatte seit Jahren nicht an die Tollivers gedacht. Ich bin jetzt zweiundfünfzig, mithin im fortgeschrittenen mittleren Alter, habe einen Mann, der kurz vor der Pensionierung steht, Kinder und Enkelkinder. Wir wohnen in Surrey, und Cornwall und die Kindheit scheinen weit, weit entfernt, in einer anderen Zeit und einer anderen Welt. Aber hin und wieder geschieht etwas, das alles wiederkehren läßt, wie ein Ton auf einem selten gespielten Klavier,

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