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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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und dann ist es, als seien die erfüll ten Jahre dazwischen nie gewesen. Die alten, müßigen Tage sind wieder da, strahlend von ewigem Sonnenschein (hat es nie geregnet?) und erfüllt von erinnerten Stimmen, hasten den Schritten und herrlich nostalgischen Gerüchen. Schalen mit Gartenwicken im Salon meiner Mutter und der Duft von Pasteten, die im Ofen des schwarzen Eisenherdes gebacken wurden.
    Die Tollivers. Als mein Mann sich verabschiedet hatte und zum Zug nach London gegangen war, ging ich mit der Zeitung in den Garten, setzte mich in den Schaukelstuhl am Rosenbeet und las die wenigen Zeilen noch einmal – des verstorbenen Sir Henry Tolliver, ehemaliger Gouverneur der Provinz Barana. Ich erinnerte mich an ihn, an sein rotes Gesicht, den gewaltigen weißen Schnurrbart und seinen Panamahut. Und ich erinnerte mich an Angus. Und Amita.
     
     
    Wer Anfang der dreißiger Jahre ein Kind Britisch-Indiens war, führte ein unstetes Leben. Mein Vater war im indischen Staats dienst in Barana stationiert und leitete dort die Fluß- und Hafenverwaltung. Seine vertragliche Verpflichtung ging über jeweils vier Jahre, während deren er völlig aus unserem Leben verschwand, bis er zu einem sechsmonatigen Urlaub zurückkehrte, der wie unendliche Ferien anmutete.
    Wir waren charakteristisch für Tausende von Familien, bei denen die Last, in England die Kinder aufzuziehen und den Haushalt zu führen, zwangsläufig der Ehefrau zufiel, deren Leben ständig unter der quälenden Entscheidung litt, ob sie bei ihren Kindern bleiben oder ihren Mann in den Osten begleiten sollte. Tat sie ersteres, ging jegliches Eheleben über Bord. Tat sie letzteres, mußten Vorkehrungen zum Wohl der Kinder ge troffen werden; es galt Internatsschulen zu finden und nette Verwandte oder Freunde zu ersuchen, sich in den Ferien der Kinder anzunehmen. Was sie auch tat, es führte stets zu unver meidlichen, herzzerreißenden Abschiedsszenen. Damals gab es keinen Flugverkehr nach Indien. Die Zeit von Imperial Airways kam erst später, und die Schiffe der P & 0, die von London ausliefen, brauchten drei Wochen für die Reise. Die Tren nung war in der Tat absolut.
    Meine Mutter ist zweimal in Indien gewesen. Einmal, bevor wir geboren waren, und einmal, als wir noch so klein waren, daß wir ihr Fortgehen kaum wahrnahmen.
    Auf ihrer ersten Reise, als junge, liebreizende Braut, lernte sie Lady Tolliver kennen. Die Freundschaft, die zwischen ihnen erblühte, war ungewöhnlich, denn Lady Tolliver war gut eine Generation älter als meine Mutter und obendrein die Gattin des Gouverneurs, während meine Mutter schlicht die frisch angetraute Ehefrau eines jungen Beamten war.
    Doch Lady Tolliver war bescheiden und freundlich. Sie fand meine Mutter erfrischend natürlich. Zu ihrem beiderseitigen Vergnügen und zur Verwunderung aller übrigen ließen sie ihre Liegestühle nebeneinander auf dem Schiffsdeck aufstellen, und da saßen sie im wohltuenden Sonnenschein, amüsierten sich mit ihrer Handarbeit und ihren lebhaften Gesprächen, während der große Dampfer durch das Mittelmeer glitt, den Suezkanal passierte und den blauen Indischen Ozean erreichte.
    In England lebten die Tollivers in Cornwall, und dies war der Grund, weswegen meine Mutter, als sie hochschwanger aus Indien zurückkehrte und eine feste Bleibe brauchte, ein Häuschen in ihrer Nähe mietete. Es war sehr bescheiden, mit einem winzigen Gärtchen, denn mehr konnte sie sich nicht lei sten, und dort wurden meine Schwester und ich geboren, dort wuchsen wir auf, ein wenig ärmlich, aber vollkommen zufrieden, und dort blieben wir, bis der Krieg uns für immer ausein anderriß.
    Im Rückblick führten wir ein sehr ereignisloses Leben, das bestimmt war von Schule und Ferien, den Briefen, die wir an unseren Vater schrieben und von ihm erhielten, von Weih nachten, wenn Päckchen kamen, würzig duftend und in Zei tungspapier gewickelt, das mit indischen Schriftzeichen bedruckt war. Alle drei bis vier Jahre folgte dann die große Aufregung, wenn unser Vater seinen Heimaturlaub hatte. Und ebensooft verließen die Tollivers ihren indischen Palast und ihre zahlreichen Bediensteten, ihre Gartenfeste und Soireen und kamen ebenfalls nach Hause, um ihre Freunde zu sehen und ihr Haus zu beziehen und wie gewöhnliche Sterbliche zu leben.
    Daisy war ihre älteste Tochter, unverheiratet und sehr musikalisch. Sie spielte an musikalischen Abenden Violine und be gleitete jeden, den es zu singen drängte, auf dem Klavier. Nach ihr kam

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