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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Inderin!“
    „Na ja, Halbinderin.“
    Das war noch schlimmer. Eine Anglo-Inderin. Chi-Chi. Ich haßte diesen Spitznamen, weil ich es haßte, wie die Leute ihn benutzten. Trotzdem war ich entsetzt. Ich war nie in Indien gewesen, aber im Laufe der Jahre hatte ich, einem Schwamm gleich, von meinen Eltern und den Erwachsenen, mit denen sie befreundet waren, die Traditionen, ihre Sprechweise und die meisten ihrer Vorurteile aufgesogen. Ich kannte mich mit In dien aus. Ich wußte über die heiße Witterung und die Regenzeit Bescheid. Ich wußte von den Reisen ins Landesinnere. Ich wußte von Durbars, den Empfängen am Hofe der Mahara dschas, und festlich geschmückten Elefanten, von großen stol zen Umzügen im flirrenden Sonnenlicht. Ich wußte, daß der Butler „bearer“, der Gärtner „mali“, der Stallbursche „syce“ genannt wurde. Ich wußte, burra hieß groß und chota hieß klein. Wenn meine Schwester mich ärgern wollte, nannte sie mich Missy Baba.
    Und ich war über Anglo-Inder aufgeklärt. Anglo-Inder waren weder Fisch noch Fleisch. Sie arbeiteten in Kontoren und bei der Eisenbahn. Sie trugen Tropenhelme und sprachen Kauderwelsch und benutzten (unsagbar) kein Papier, wenn sie auf die Toilette gingen.
    Und Angus Tolliver würde eine von ihnen heiraten.
    Ich konnte nicht darüber sprechen. Angus, der Stolz der Tollivers, der einzige Sohn des Gouverneurs, heiratete eine Anglo- Inderin. Die Schande seiner Familie war meine Schande, denn obwohl ich erst acht Jahre alt war, wußte ich, wenn er das tat, würde er sich von allem ausschließen, was ihm vertraut war. Er würde sich zurückziehen und aus unserem Leben verschwinden müssen. Er wäre für immer verloren.
    Ich trug meinen Jammer drei Tage mit mir herum, bis meine Mutter, die mein trübsinniges Gesicht keine Minute länger er tragen konnte, mich fragte, was mir fehle. Gequält, ohne ihr ins Gesicht zu sehen, sagte ich es ihr.
    „Woher weißt du es?“ fragte meine Mutter.
    „Doris hat’s mir gesagt. Arthur Penfold hat’s ihr erzählt. Agnes hat es seiner Mutter geschrieben.“ Ich zwang mich, zu meiner Mutter hochzublicken, und stellte fest, daß sie mich nicht ansah. Sie versuchte, Blumen in einer Vase zu ordnen, aber ihre sonst so geschickten Finger waren unbeholfen. „Ist es wahr?“
    „Ja, es ist wahr.“
    Meine letzte Hoffnung erstarb. Ich schluckte. „Ist es eine… Anglo-Inderin?“
    „Nein. Ihre Mutter war Inderin und ihr Vater Franzose. Ihr Name ist Amita Chabrol.“
    „Wird es ganz schrecklich, wenn er sie heiratet?“
    „Nein, nicht schrecklich. Aber es ist nicht richtig.“
    „Warum?“ Ich wußte von dem Chi-Chi-Akzent, den Tro penhelmen, dem gesellschaftlichen Stigma. Aber es ging um Angus. „Warum ist es nicht richtig?“
    Meine Mutter schüttelte den Kopf, fast als halte sie sich krampfhaft zurück, um nicht aufzuschreien oder mich zu schlagen oder in Tränen auszubrechen.
    „Es ist eben so. Rassen sollen sich nicht vermischen. Es ist… es gehört sich nicht, der Kinder wegen.“
    „Du meinst, es gehört sich nicht, Babys zu haben, die halb das eine sind und halb das andere?“
    „Ja.“
    „Aber warum?“
    „Weil das Leben hart für sie ist.“
    „Warum ist das Leben hart für sie?“
    „0 Laura. Weil es so ist. Weil die Leute auf sie herabsehen. Die Leute sind grausam zu ihnen.“
    „Aber nur die garstigen Leute.“ Ich sehnte mich nach einer Bestätigung von ihr, daß sie zu einem kleinen anglo-indischen Kind nicht grausam sein würde. Sie liebte Kinder, und Babys ganz besonders. „Du würdest nicht böse zu ihnen sein“, sagte ich flehend.
    Sie verharrte mitten im Abzupfen der Blätter einer Rose. Sie schloß die Augen, als versuchte sie, etwas zu verbergen. Ich glaube, in diesem Moment baten ihre natürlichen Instinkte sie, sich auf meine Seite zu stellen, aber sie hatte zu lange mit den alten Vorurteilen gelebt, und die starren Stränge der Konven tion waren für sie zu fest geschnürt, um sich losreißen zu kön nen. Ich wartete, daß sie sich verteidigte, aber als sie die Augen wieder öffnete und mit ihrem Tun fortfuhr, sagte sie nur: „Es ist nicht richtig. Das ist alles, was ich dir sagen kann. Und erst recht, da Angus’ Vater der Gouverneur der Provinz ist.“
    „Was können sie machen?“
    Sie konnten nichts machen. Angus und seine Braut wurden in aller Stille in einer kleinen, unbedeutenden Kirche in der we niger eleganten Gegend von Barana getraut. Die Eltern Tolli ver waren nicht zugegen. Die

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