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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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zum Zug gebracht.“
    „Hat er es weit?“
    „Nein. Nur bis Carmouth. Nehmen Sie Zucker?“
    „Ja, jede Menge. Mindestens vier Löffel.“
    „Bedienen Sie sich lieber selbst.“ Sie reichte ihm seine Tasse, und er schaufelte reichlich Zucker hinein. Sie sagte: „Ich habe mich nie bei Ihnen bedankt, daß Sie ihm den Bogen und die Pfeile gemacht haben.“
    „Ich dachte, Sie würden sich vielleicht ärgern, weil ich ihm so ein gefährliches Spielzeug geschenkt habe.“
    „Er ist sehr besonnen.“
    „Ich weiß. Sonst hätte ich es auch nicht gemacht.“
    „Und…“ Sie drehte ihre Teetasse in der Hand. Die Tasse hatte ein Rosenmuster und sah aus, als hätte sie einst einer älteren Verwandten gehört. „Sie haben Sally gerettet, als sie vom Fahrrad fiel. Ich hätte nicht versäumen dürfen, Ihnen dafür zu danken, aber irgendwie bekam ich Sie nie zu sehen.“
    „Sally hat sich selbst bei mir bedankt. Und sie hat mich ins Herz geschlossen.“
    „Das freut mich.“
    „Es ist still ohne die Kinder.“
    „Um Himmels willen, machen sie so viel Krach?“
    „Nur ein bißchen, und das gefällt mir. So habe ich ein wenig Gesellschaft, wenn ich arbeite.“
    „Sie stören Sie nicht oder lenken Sie ab?“
    „Wie gesagt, es gefällt mir.“ Nachdenklich schnitt er sich ein dickes Stück Kuchen ab. Er biß hinein und kaute, dann sagte er unvermittelt: „Er ist noch so klein. James, meine ich. So ein kleines Bürschchen. Müssen Sie ihn ins Internat schic ken?“
    „Nein, nicht unbedingt, denke ich.“
    „Wäre es nicht netter für Sie beide, wenn er hierbliebe?“
    Sie sagte: „Ja, bestimmt.“
    „Aber er muß fort?“
    Da sah Veronica ihn an, und sie fragte sich, warum seine Beharrlichkeit sie nicht kränkte und warum sie wußte, daß seine Fragen aufrichtigem Interesse und nicht bloßer Neugierde ent sprangen. Seine Augen hinter der Brille waren sehr dunkel und gütig. Er war nicht im mindesten einschüchternd.
    Sie sagte: „Es hört sich lächerlich an, aber es ist wirklich ganz einfach. Er ist mein einziger Sohn. Und er ist mein Baby. Wir waren sein Leben lang zusammen und standen uns sehr nahe. Ich liebe Sally, aber sie ist irgendwie von mir losgelöst, und das ist mit ein Grund, weswegen wir so gut miteinander auskommen. Aber James und ich sind, ich weiß nicht, wie zwei Äste am selben Stamm. Als mein – “ Sie beugte sich vor, stellte ihre Teetasse ab, verbarg hinter einem Vorhang aus Haaren ihr Gesicht vor dem Professor, denn noch immer, auch jetzt, traute sie sich nicht zu, es zu sagen, ohne zu weinen. „Als mein Mann starb, hatte James nur noch mich.“ Sie richtete sich auf, schob sich die Haare aus den Augen und sah ihn wieder an. Sie lächelte. „Ich war immer entsetzt über Mütter und Söhne, die wie die Kletten aneinander hingen und sich nicht voneinander lösen konnten.“ Er blickte sie nachdenklich an, ohne ihr Lächeln zu erwidern. Sie fuhr munter fort: „Es ist eine gute Schule, klein und freundlich. Er fühlt sich dort sehr wohl. “
    Das stimmte. Sie wußte es, und doch wurde sie von Zweifeln geplagt. Nach dem leidvollen Morgen, den Qualen des letzten Mittagessens, der Fahrt zum Bahnhof und dem letzten Lebe wohl hatte sie das Gefühl gehabt, das nicht noch einmal durchmachen zu können. James’ Gesicht ließ sie nicht los, das blasse Dreieck über Nigels Schulter, das immer kleiner und verschwommener wurde, als der Schnellzug mit ihm ent schwand.
    „Vielleicht“, sagte der Professor, „könnten Sie woanders hinziehen, wo es eine ähnliche Schule gibt, und andere Jungen, und wo er Beschäftigung hätte?“
    „Kein Vater“, sagte Veronica, ohne zu überlegen. „Es hängt damit zusammen, daß er keinen Vater hat.“
    „Aber Sie müssen doch einsam sein ohne die Kinder.“
    „Manchmal ist es egoistisch, einsam zu sein … und können wir jetzt bitte nicht mehr darüber sprechen.“
    „Ist gut“, sagte der Professor liebenswürdig, als hätte er das Thema nie angeschnitten. „Worüber wollen wir sprechen?“
    „Ihr Buch?“
    „Mein Buch ist fertig.“
    „Fertig?“
    „Ja, fertig. Getippt, korrigiert und noch einmal getippt; nicht von mir, darf ich hinzufügen. Es ist nicht nur getippt, ge heftet und eingebunden, sondern es ist auf dem Schreibtisch eines Verlegers gelandet und wird gedruckt.“
    „Das ist ja großartig. Wann haben Sie es erfahren?“
    „Heute. Ich erhielt ein telefonisches Telegramm und ging zur Post, um mir die Bestätigung zu holen.“ Er zog es aus

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