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Das blaue Zimmer

Das blaue Zimmer

Titel: Das blaue Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Riemchen und Knöpfen. Wir wu schen uns Hände und Gesicht, und Jassy half mir mit meinen Haaren, die dick und lockig und an diesem Nachmittag voll Sand waren.
    Während wir uns hiermit befaßten, hörten wir das Auto. Es kam die Straße entlang und hielt vor unserem Tor. Unten ging die Haustür auf, und wir hörten unsere Mutter den Weg hin untergehen, um ihre Gäste zu begrüßen.
    „Komm“, sagte Jassy. Wir schickten uns an, hinunterzugehen, doch im letzten Augenblick kehrte sie um, nahm ihr goldenes Medaillon aus ihrer Schublade und schloß die Kette im Nacken. Ich wünschte, ich hätte ein Medaillon, einen Talis man, irgend etwas, um meinen Mut zu festigen.
     
     
    Sie waren im Wohnzimmer. Die Tür zur Diele stand offen, und wir hörten leise Stimmen, Gelächter. Jassy, vielleicht von ihrem Medaillon ermutigt, ging . voran, und ich folgte bange hinterdrein. Als ich durch die Tür trat, hörte ich Angus sagen: „Jassy!“, und schon hielt er sie in seinen Armen, ganz so, als sei sie noch ein kleines Mädchen. Ich bemerkte, daß Jassy errötete, und dann sah ich an ihnen vorbei. Lady Tolliver hatte es sich schon im besten Sessel bequem gemacht. Daisy Tolli ver saß auf einem niedrigen Hocker, und auf dem Fenstersitz saßen, Seite an Seite mit dem Rücken zum Garten, meine Mutter und… Amita.
    Als erstes fiel mir ihr flammendroter Sari auf, der wie ein trotziger Schrei anmutete. Aber wie soll ich sie weiter be schreiben? Ein Paradiesvogel vielleicht, prachtvoll und fehl am Platz inmitten der Schatten, die die Gartenwicken an einem heißen Sommernachmittag in ein englisches Wohn zimmer warfen.
    Sie war klein, schön proportioniert, und ihre Haut war glatt und golden wie Bernstein. Ihre Augen waren riesengroß, dunkel und wunderschön geschminkt. Edelsteine glitzerten in ihren Ohren, funkelten an Handgelenken und Fingern, und ihre bloßen Füße steckten in zierlichen goldenen Riemchen sandalen. Dies alles war rein indisch, aber ihr Haar verriet den europäischen Einschlag, es war dicht, schwarz und loc kig. Sie trug es schulterlang, und es umrahmte ihr Gesicht wie das eines Kindes. Sie hatte ein Handtäschchen aus Goldleder, und das Zimmer war erfüllt von dem feinen Moschusduft ihres Parfüms.
    Ich konnte die Augen nicht von ihr wenden. Ich bekam einen Kuß von Angus, ich bekam einen Kuß von Lady Tolliver, und die ganze Zeit starrte ich Amita an. Als ich ihr vor gestellt wurde, lachte sie. Vielleicht lag es an ihrer braunen Haut, aber ich meinte noch nie so strahlendweiße Zähne ge sehen zu haben.
    Sie sagte: „Soll ich dir auch einen Kuß geben?“
    Ihre Stimme bezauberte mich. Die Vokale hatten einen ganz leichten französischen Akzent.
    Ich sagte: „Ich weiß nicht.“
    „Wollen wir es versuchen?“
    Da gab ich ihr einen Kuß. Nie zuvor war mir etwas so Zau berhaftes widerfahren, und als ich sie küßte, von ihrer Schön heit verwirrt und behext, ging mir ein Gedanke durch den Kopf, sachte, wie die flüchtige Berührung eines Mottenflügels, wie etwas, das man fortwischt. Weswegen die ganze Auf regung?
    Ich weiß nicht mehr viel von jenem Nachmittag, erinnere mich nur noch an ein Gefühl von ungewohntem Glanz, der durch das kleine Haus meiner Mutter zu wehen schien wie ein Schwall kühler, klarer Luft. Angus hatte sich verändert, aber zu seinem Vorteil, fand ich. Er war jetzt ein Mann. Das Jun genhafte in Aussehen und Temperament war verschwunden, er hatte etwas Behutsames, Zurückhaltendes, aber auch Stär keres. Vielleicht Stolz, oder das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Ich weiß es nicht. Er kam mir größer vor, was selt sam war, denn als ich älter wurde, wurden die Erwachsenen merkwürdigerweise immer kleiner. Vielleicht hatte ich ver gessen, wie aufrecht und gerade er sich hielt. Vergessen, wie breit seine Schultern und wie wohlgeformt seine tüchtigen Hände waren.
    Die Unterhaltung am Teetisch war wunderbar kultiviert. Sie sprachen von Venedig und Florenz, wo sie vor kurzem gewesen waren, und von den Gemälden El Grecos, die sie in Madrid gesehen hatten. Sie hatten Paris besucht, und Angus neckte Amita, weil sie so viele neue Kleider gekauft hatte, und sie lachte nur und sagte zu meiner Mutter: „Wie kann man von einem Mann erwarten, daß er versteht, daß alles, die Hüte und die Schuhe und die vielen Geschäfte, unwiderstehlich ist?“ Nur hörte es sich bei ihr an wie „unwiiiiderstehlich“, und dann lachten wir alle.
    Angus erzählte uns, daß sie Indien verlassen und nach Birma

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