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Das Blumenorakel

Das Blumenorakel

Titel: Das Blumenorakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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um die junge Dame auf Sie aufmerksam zu machen. Wahrscheinlich werden Sie die Blumen des Öfteren sprechen lassen müssen …« Schon bediente sie sich aus den verschiedenen Blumeneimern. »Den Anfang macht eine Amaryllis – sie kommt in die Mitte, denn mit ihr teilen Sie der jungen Dame mit, dass Sie ihre stolze Erscheinung sehr schätzen. Die drei Callas, das sind diese hübschen weißen Blumen hier, preisen außerdem ihre Schönheit …« Der Strauß würde ziemlich teuer werden, ging es Flora durch den Kopf. Aber eine junge Schönheit konnte man eben nicht umsonst erobern. Sie lächelte Igor Strawinsky an.
    Â»Dazu setzen wir Engelwurz, diese Blumen sagen nämlich: ›Du bist der Liebreiz in Person.‹«
    Â»Das ist sie!«, rief der junge Russe. »Nur mir gegenüber nicht …« Er schaute Flora stirnrunzelnd an. »Und die Blumen sprechen wirklich für mich? Die Dame persönlich anzureden, würde ich nämlich nie wagen.«
    Flora musste ein Grinsen unterdrücken. »Das werden Sie schon wagen müssen, wenn die junge Dame Sie erhört hat. Aber im Augenblick geben Sie nur diesen Strauß und mein Blumen-ABC bei ihr ab. Diese Blume hier, eine Iris, ist die wichtigste – sie teilt der Beschenkten nämlich mit, dass sie Ihnen die Ruhe des Herzens geraubt hat. Und wir gehen noch einen Schritt weiter, indem wir den Strauß mit einem Büschel Kastanienblätter ausschmücken.« Zum Glück hatte sie die bei ihrem morgendlichen Spaziergang noch abgerupft!
    Igor Strawinsky nickte beeindruckt. »Was besagen diese Blätter?«
    Â»Ich wäre dir so gern nah!«

    Drei Tage später kam der junge Russe wieder.
    Bevor Flora wusste, wie ihr geschah, küsste er ihre Hand.Ein Wunder sei geschehen, rief er mit glänzenden Augen. Seine Angebetete habe ihn im Theaterfoyer angelächelt! Und sie habe dabei gar nicht hochmütig gewirkt. Nun brauche er noch mehr von Floras Zauberblumen.

    Bald stand die Tür des Blumenladens nicht mehr still. Die russischen Kurgäste stürzten sich mit Begeisterung auf die neue Mode mit den Blumen. Tänzerinnen, die zur Unterhaltung der Gäste während der Vorspeise auf Zehenspitzen Pirouetten drehten, weise Frauen, die zum Dessert die Zukunft aus dem Kaffeesatz herauslasen, oder Sopranistinnen, die Arien trällerten, das alles kannte man schon zur Genüge. Blumen, die »sprechen« konnten, waren hingegen etwas Neues! Und für ihre Feste mussten sich die Gastgeberinnen schließlich immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Dafür waren sie sich nicht einmal zu schade, Flora in ihrem Blumenladen aufzusuchen – für sie war der Spaziergang durch die Straße der Handwerker und einfachen Leute aufregend wie ein kleines Abenteuer. Und dann erst die Gespräche mit dem Blumenmädchen! Alles zusammen wurde als très chic empfunden.
    Â»Mein Gatte feiert sein Wiegenfest und er liebt Pferde über alles – haben Sie spezielle Blumen für ihn?«, wollte beispielsweise eine von Püppis Freundinnen wissen.
    Flora empfahl der hoch aufgeschossenen Dame ein Hufeisen, gebunden aus Efeu und Himmelsschlüsseln. »Letztere gelten als ein Zeichen für Lebensfreude«, fügte sie an.
    Â» Ein Hufeisen?« Entsetzt schaute die Dame auf Flora herab. »Wenn schon, dann drei oder vier! Und genauso viele Wagenräder aus Blumen noch dazu!«

    Auch die ehemaligen Stammkunden – Ernestines Freundinnen, Nachbarn, Bekannte – kamen plötzlich wieder. Noch immer verlangten sie vor allem lose Blumen und billige Sträuße, doch gleichzeitig genossen sie es, Schulter an Schulter mit der reichen Kundschaft vor der Ladentheke zu stehen.
    Ernestine ließ keine Gelegenheit aus zu betonen, dass das Blumen-ABC allein auf ihr Drängen hin entstanden war. Sie saß nun täglich hinter der Theke und schaute andächtig zu, wie unter Floras kundigen Händen kleine Kunstwerke entstanden: üppige und zierliche Sträuße, Blumengestecke und Blumenkörbe, Girlanden, die an Landauern befestigt werden mussten, Blumen- und Früchtestillleben als Tafelschmuck – Floras Einfallsreichtum war schier unerschöpflich. Und ihre Gebinde wurden immer aufwändiger. Und teurer.
    Ihre anfänglichen Hemmungen, hohe Preise dafür zu verlangen, schmolzen dahin wie Vanilleeis in der Sonne – nach dem Winter,

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