Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
das Pferd vor den Augen der hungernden Gefangenen zu füttern, und zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte es, vom Rücken des Tieres aus seine Treffsicherheit unter Beweis zu stellen, indem er mit der Luger wahllos auf Gefangene schoss. Dreimal erwischte es Männer, die direkt neben Setrakian gestanden hatten …
Mir ist dein Leibwächter nicht entgangen.
Meinte der Vampir damit Vasiliy? Setrakian drehte sich um und entdeckte den Kammerjäger in der Zuschauermenge am Ende des Saals. Neben den zwei gut gekleideten Sotheby’s-Sicherheitsleuten, die die Tür bewachten, wirkte er in seinem Overall völlig deplatziert.
Fetorski, nicht wahr? Reines ukrainisches Blut ist ein sehr exquisiter Genuss. Bitter, salzig, aber mit einem starken Abgang. Was Blut angeht, bin ich ein wahrer Connaisseur, und diese Duftnote ist mir sofort aufgefallen. Erinnerst du dich nicht, Schreinerjunge?
Diese Worte stürzten Setrakian in tiefe Verzweiflung,
wusste er doch instinktiv, dass das Ungeheuer die Wahrheit sagte. Vor seinem inneren Auge erschien das Bild eines großen Mannes in der schwarzen Uniform der ukrainischen Wachen, der beflissen die Zügel von Eichhorsts Pferd hielt und seinem Kommandanten die Luger reichte.
Ist es wirklich ein Zufall, dass du einen Nachfahren deines ehemaligen Peinigers mitgebracht hast?
Setrakian schloss die Augen. Versuchte mit aller Gewalt, Eichhorsts Stimme aus seinen Gedanken zu drängen. Die Auktion stand kurz bevor, und dafür brauchte er einen klaren Kopf. Sie wären überrascht, mit wem ich sonst noch zusammenarbeite , dachte er und hoffte inständig, dass der Vampir ihn verstanden hatte.
Nora kramte das Nachtsichtgerät aus dem Rucksack und brachte es über dem Mets-Cap auf ihrem Kopf an. Wenn sie ein Auge schloss, wurde alles Grün. »Rattensicht« hatte Vasiliy das genannt, aber Nora hätte sich in diesem Moment über keine technische Errungenschaft mehr gefreut.
Der Tunnel vor ihnen schien verlassen, doch weit und breit war kein Ausgang, kein Versteck, rein gar nichts auszumachen, was ihnen in irgendeiner Weise geholfen hätte.
Nora vermied es, ihre Mutter anzusehen. Die alte Dame atmete schwer und war kaum mehr in der Lage mitzuhalten; Nora musste sie praktisch über das Gleisbett tragen.
Sie wusste, dass ihnen die Vampire auf der Spur waren.
Sie wusste, dass sie nach einem geeigneten Ort suchen musste.
Und doch war da diese Stimme in ihrem Kopf.
Das kannst du nicht tun.
Aber ich kann sie nicht beide retten. Ich muss mich entscheiden.
Wie kannst du deine Mutter für einen fremden Jungen opfern?
Einer muss sterben. Sonst sterben beide.
Aber sie hat doch ein schönes Leben.
Was für ein Mist! Wir alle haben ein schönes Leben - bis zum letzten Moment.
Sie hat dir das Leben geschenkt.
Wenn ich es jetzt nicht tue, wird sie in einen Vampir verwandelt. Dann ist sie verdammt in alle Ewigkeit.
Gegen Alzheimer gibt es kein Mittel. Ist sie überhaupt noch deine Mutter? Wo ist der Unterschied zu den Vampiren?
Jedenfalls stellt sie keine Gefahr für andere dar.
Für dich schon. Und für Zack auch.
Ich werde sie so oder so umbringen müssen - spätestens dann, wenn sie zu ihrer geliebten Tochter zurückkehrt.
Dasselbe hast du Eph in Bezug auf Kelly gesagt, erinnerst du dich?
Sie ist dement. Sie wird es gar nicht mitbekommen.
Aber du wirst es mitbekommen.
Hier gibt es kein Entweder-Oder. Alles geschieht so schnell: Sie greifen dich an, und dann bist du verloren. Du musst handeln, bevor du dich verwandelst. Du musst dich darauf vorbereiten.
Du würdest dich also selbst auch umbringen, bevor du dich verwandelst?
Ja.
Aber das ist deine freie Entscheidung.
Du musst für andere entscheiden. Du kannst einen Menschen erst erlösen, wenn er sich verwandelt hat. Du kannst zwar versuchen, dir das Gegenteil einzureden, aber dann wirst du dich für den Rest deines Lebens fragen, ob du richtig gehandelt hast.
Es ist Mord.
Ja.
Wirst du auch Zack umbringen, wenn es nötig ist?
Vielleicht. Ja.
Du zögerst.
Zack hat eine größere Chance, einen Angriff zu überstehen.
Also opferst du einen alten Menschen für einen jungen.
Vielleicht. Ja.
»Wann kommt denn jetzt endlich dein nichtsnutziger Vater?«, fragte Mrs. Martinez plötzlich, und Nora wurde ins Hier und Jetzt zurückkatapultiert, viel zu verzweifelt, um in Tränen auszubrechen.
Warum musste ausgerechnet sie eine solche Entscheidung treffen?
In diesem Moment hallte ein langgezogenes Heulen durch den Tunnel, und Nora
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