Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Sie kamen.
Nora stellte sich hinter ihre Mutter. Sah sie nicht an. Umklammerte fest den Messergriff. Hob die Klinge, um sie in den Rücken der alten Frau zu stoßen …
Und senkte sie wieder.
Sie brachte es einfach nicht fertig.
Die Liebe ist unser Untergang.
Vampire hatten keine Schuldgefühle. Sie zögerten nie. Damit waren sie klar im Vorteil.
Wie um das zu bestätigen krochen nun zwei dieser Kreaturen rechts und links die Tunnelwand entlang auf sie zu. Durch das Nachtsichtgerät sah Nora ihre Augen in gespenstischem Weiß glühen.
Und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie in diesem Augenblick im Vorteil war: Die Vampire wussten nicht, dass sie sie sehen konnte, dachten, dass sie wie die anderen Fahrgäste blind durch die Dunkelheit stolperte.
»Setz dich, Mama«, flüsterte sie und drückte die alte Dame sanft nach unten; sie durfte auf keinen Fall zulassen, dass sie in ihrer Verwirrung einfach davonspazierte. »Papa ist unterwegs.«
Dann machte sie einige Schritte nach vorne und stellte
sich direkt zwischen die beiden Vampire. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie die Kreaturen insektengleich die Wände hinunterkamen und sich auf dem Tunnelboden aufrichteten.
Nora atmete tief ein. Diese beiden Vampire standen für all das Schreckliche, das sie in den letzten Wochen erlebt hatte. Für all den Schmerz, der über die Welt gekommen war. Und für all den Zorn … Sie holte aus, wirbelte herum und schlitzte der ersten Kreatur die Kehle auf, bevor diese zum Sprung ansetzen konnte. Der erschrockene Schrei des Vampirs hing noch in der Luft, als Nora schon auf den anderen losging, der sich auf ihre Mutter stürzen wollte. Der Vampir ging in die Hocke, öffnete den Mund, um den Stachel herauszuschleudern - doch in blinder Wut machte Nora ihn nieder, zerfetzte ihm den Hals, stach noch auf den bleichen Körper ein, als dieser längst kein Lebenszeichen mehr von sich gab.
Erst langsam kam sie wieder zu Sinnen und sah sich um. Waren diese Vampire an Zack vorübergegangen, ohne ihn zu bemerken? Sie hatten nicht den Eindruck gemacht, als hätten sie gerade gefressen, aber im schwachen Schein des Nachtsichtgeräts war das nicht eindeutig auszumachen.
Nora fuhr mit der UV-Lampe über die Vampirkadaver und verbrannte die Blutwürmer. Dann säuberte sie das Messer und ging zu ihrer Mutter, um ihr auf die Beine zu helfen.
»Ist dein Vater jetzt endlich da?«, fragte Mrs. Martinez. Offenbar hatte sie von all dem Getöse nichts mitbekommen.
»Bald, Mutter«, erwiderte Nora. »Bald.«
Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie mit ihrer Mutter den Tunnel hinunterging. Zurück zu Zack.
Setrakian stieg erst in die Auktion ein, als die Gebote für das Occido Lumen die Zehn-Millionen-Dollar-Grenze überschritten hatten. Dann ging es Schlag auf Schlag - was wohl nicht nur an der spektakulären Einzigartigkeit des angebotenen
Objekts lag, sondern auch an den Umständen, unter denen die Versteigerung stattfand: diesem Gefühl, dass die Stadt dem Untergang geweiht war, ja, dass sich die Welt für immer verändern würde.
Beim Stand von fünfzehn Millionen wurde in Schritten von jeweils dreihunderttausend geboten.
Bei zwanzig Millionen waren es bereits fünfhunderttausend.
Setrakian musste sich nicht erst umsehen, er wusste ganz genau, gegen wen er bot. Alle übrigen, die sich eine Chance auf das Buch ausgerechnet hatten, waren nach und nach ausgestiegen, als die Gebote achtstellig geworden waren.
Bei fünfundzwanzig Millionen verkündete der Auktionator eine kurze Pause und trank einen Schluck Wasser, doch es war klar, dass er nur die Spannung erhöhen wollte. So ließ er es sich nicht nehmen, kurz auf die höchste Summe hinzuweisen, die bei einer Auktion jemals für ein Manuskript bezahlt worden war: Im Jahre 1994 war der Codex Leicester von Leonardo Da Vinci für über dreißig Millionen Dollar über den Tisch gegangen.
Setrakian spürte, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren, und zwang sich, seine Aufmerksamkeit einzig und allein dem schweren, silberbeschlagenen Buch zu widmen, das von Scheinwerfern angestrahlt vor ihm in einem Glaskasten lag. Das Occido Lumen war geöffnet, die aufgeschlagenen Seiten wurden auf zwei große Bildschirme projiziert. Links war ein handschriftlicher Text zu sehen, rechts die silberne Abbildung einer menschlichen Gestalt mit großen weißen Flügeln, die auf eine brennende Stadt blickte.
Erzengel …
Die Auktion wurde fortgesetzt,
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