Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
die Halteseile, und das Boot machte einen gewaltigen Satz, sodass sie schon meinten, es würde kentern. Doch nach wenigen Minuten hatte Vasiliy den Bogen raus, und sie tuckerten langsam auf den East River hinaus.
Eph blickte zum Ufer zurück und sah eine Vampirhorde, die dem Boot nach Süden folgte. Keine der Kreaturen machte Anstalten, ins Wasser zu springen; umso lauter und verzweifelter war ihr Heulen und Kreischen.
»Fließendes Wasser, Mann«, sagte Gus neben ihm. »Wie schön, dass es in dieser Welt noch Regeln gibt.«
Eph lächelte, warf einen letzten Blick auf die Vampire, dann wandte er sich Roosevelt Island zu. Über der Insel brach langsam der neue Tag an. Zwar fielen keine Sonnenstrahlen durch die dichten schwarzen Wolken, aber das Licht bahnte sich unverdrossen einen Weg in die Welt.
Dann, als sie zwischen den gewaltigen Stahlträgern der Queensboro Bridge hindurchfuhren, sahen sie ein kurzes helles Aufflackern im Himmel über Manhattan. Dann noch eines. Und ein weiteres. Wie ein kleines Feuerwerk.
Es waren Leuchtraketen.
Ein Militärfahrzeug fuhr auf dem Franklin D. Roosevelt Drive der Vampirhorde entgegen. Soldaten standen hinten auf dem Wagen und feuerten wild um sich.
»Die Army!«, rief Eph, und ein Gefühl stieg in ihm auf, das er schon lange verloren geglaubt hatte.
Hoffnung.
Er blickte sich nach Setrakian um, konnte den Professor jedoch nirgendwo entdecken. Schließlich ging er zu den anderen in die Kajüte.
»Hier entlang, Mama.«
Sie hatten endlich eine Tür entdeckt. Sie hatte kein Schloss - die Tunnel-Planer waren wohl nie auf die Idee gekommen, dass jemand versuchen könnte, zu Fuß unter dem Hudson hindurchzuspazieren. Leider führte die Tür nicht aus dem Tunnel heraus, sondern lediglich in einen großen Raum, in dem verschiedenste Utensilien lagerten: Reservelampen für Signalleuchten, orangefarbene Fahnen, Sicherheitswesten, ein Karton mit Magnesiumfackeln sowie Taschenlampen, deren Batterien jedoch schon seit längerem korrodiert waren.
Nora stapelte ein paar Sandsäcke in einer Ecke und setzte ihre Mutter darauf. »Bitte bleib hier und sei still, Mama. Ich bin gleich wieder da. Versprochen.«
Mrs. Martinez saß auf ihrem Thron aus Sandsäcken und blickte sich neugierig um. »Wo hast du die Kekse hingetan?«
»Es sind keine mehr da, Mama. Leg dich jetzt hin. Schlaf ein bisschen.«
»Hier? In der Vorratskammer?«
»Bitte. Es soll eine Überraschung werden. Für Papa. Bleib einfach hier, bis er kommt.« Nora steckte eine Handvoll Fackeln in ihre Tasche, dann verließ sie den Raum und schloss die Tür hinter sich. Draußen inspizierte sie mithilfe des Nachtsichtgeräts die nähere Umgebung - keine verdächtigen
Bewegungen. Sie verbarrikadierte die Tür mit zwei Sandsäcken in der Hoffnung, dass dies ihre Mutter davon abhalten würde, einfach wegzulaufen, und rannte dann den Tunnel hinunter. Richtung Zack.
Es war nicht gerade heldenhaft, ihre Mutter in einem Lagerraum zurückzulassen, das wusste sie, doch nur so bestand zumindest ein Funken Hoffnung für sie alle.
In dem Tunnelabschnitt angekommen, in dem sie den Jungen zurückgelassen hatte, verschnaufte sie kurz, dann machte sie sich auf die Suche. Durch das verschwommene grüne Licht des Nachtsichtgeräts wirkte plötzlich alles völlig verändert; sie hatte sich eine weiße Farbmarkierung an der Tunnelwand als Orientierungspunkt gemerkt, konnte diese jetzt jedoch nicht mehr entdecken. »Zack?«, flüsterte sie. Dann lauter: »Zack, wo bist du?« Die Sorge um den Jungen ließ sie alle Vorsicht vergessen. Er musste doch hier irgendwo sein. »Zack, ich bin’s, Nora. Wo bist …« Sie blieb mit offenem Mund stehen. Was sie vor sich sah, raubte ihr den Atem.
Irgendjemand hatte ein riesiges Wandgemälde an die Tunnelwand gemalt, das ein gesichtsloses, menschenähnliches Geschöpf mit zwei Armen, zwei Beinen und zwei riesigen Flügeln darstellte. Nora betrachtete es näher und kam zu dem Schluss, dass dies die detaillierte Darstellung jenes Motivs war, das all die über die Stadt verstreuten Graffiti nur angedeutet und das sie fälschlicherweise für Blumen oder Insekten gehalten hatten. Dabei es waren Abstraktionen gewesen. Symbole. Skizzen dieser furchterregenden Gestalt, der sie nun gegenüberstand.
Das fast fotorealistisch gemalte Flügelwesen jagte ihr eine Angst ein, die sie mit ihrem Verstand nicht recht fassen konnte. Hier, in einem dunklen Tunnel tief unter der Erdoberfläche, auf ein derart kunstvolles
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