Das Blut - Del Toro, G: Blut - The Fall
dass Palmer gerade ein Atomkraftwerk auf Long Island in Betrieb genommen hat?«
Setrakians Augen waren leer - als hätte ihn die mythische Geometrie des Mandalas hypnotisiert. Er legte sich die Tablette unter die Zunge, schloss die Augen und wartete darauf, dass der Wirkstoff sein Herz beruhigte.
Seit Nora und ihre Mutter verschwunden waren, hatte Zack unter dem niedrigen Vorsprung, der entlang des North River Tunnel verlief, ausgeharrt: das Silbermesser fest an die Brust gedrückt, konzentriert lauschend, keinen Mucks von sich gebend. Was gar nicht so einfach war - sein Atem war in der Enge und Dunkelheit zu einem pfeifenden Keuchen geworden. Er drehte sich auf den Rücken, suchte seine Taschen ab und fand schließlich den Inhalator.
Nach zwei tiefen Zügen spürte er sofort die befreiende Wirkung. Zuweilen kam ihm der Atem in seinen Lungen wie ein in einem Netz gefangener Mann vor. Wenn Zack sich aufregte, fing der Mann an zu strampeln und am Netz zu zerren und verhedderte sich dadurch noch weiter in den Seilen; ein Zug aus dem Inhalator wirkte dann wie eine ordentliche Portion Betäubungsgas, das den Mann lähmte und das Netz wieder entspannte.
Zack steckte den Inhalator weg und griff wieder nach dem Messer.
»Wenn du ihm einen Namen gibst, gehört es für immer dir.«
Das hatte der Professor gesagt. Zack hatte die ganze Zeit über einen Namen für das Messer nachgedacht, war aber auf keinen gekommen. Wie, in Gottes Namen, nannte man nur ein Messer? Tiere hatten Namen, klar. Oder auch Schiffe. Aber ein Messer?
Jetzt, in der Dunkelheit dieses fürchterlichen Tunnels, sah er den Professor plötzlich vor sich. Sah die runzligen, verkrümmten Finger, die ihm die Klinge überreichten.
Abraham.
Der alte Mann hieß Abraham.
Und so sollte auch das Messer heißen …
»Hilfe!«
Die Stimme eines Mannes. Ganz in der Nähe. Jemand rannte in seine Richtung.
»Hilfe! Ist da jemand?«
Zack bewegte sich nicht, drehte noch nicht einmal den Kopf. Von seiner Position aus konnte er die Umrisse eines Mannes erkennen, der den Tunnel hinunterlief. Es schien, als würde er vor etwas fliehen. Jetzt waren noch andere Schritte zu hören … Plötzlich stolperte der Mann und fiel hin, stand auf und fiel wieder hin. Oder stieß ihn etwa jemand um? Zack sah, wie der Mann versuchte, gleichzeitig vorwärts zu kriechen und nach hinten zu treten; er konnte die Angst des Mannes förmlich spüren. So fest er konnte, umklammerte er Abraham.
In diesem Moment landete ein Vampir auf dem Rücken des Mannes, der einen markerschütternden Schrei von sich gab, ein Schrei, der erst verstummte, als sich eine Hand in seinen Mund schob und die Wange aufriss. Dann griffen weitere Hände nach ihm, Hände mit überlangen Fingern, die sich in die Haut des Mannes bohrten. Seine Kleidung zerrissen. Ihn wegzerrten.
Und dann herrschte Stille.
Eine furchtbare Stille.
Zack zitterte so stark, dass er befürchtete, sich dadurch zu verraten.
Wo blieb nur Nora?
Plötzlich musste er daran denken, wie er einmal mit den Nachbarskindern Verstecken gespielt hatte, damals, als seine Eltern noch zusammen gewesen waren. Er war hinter einen Busch gekrochen und hatte zugehört, wie derjenige, der sie suchen musste, laut zählte. Dann ging das Spiel los. Zack fanden sie als Letzten, besser gesagt als Vorletzten,
denn irgendwann fiel ihnen auf, dass ein jüngerer Bursche, der erst später dazugekommen war, fehlte. Sie suchten eine Weile nach ihm und riefen dabei immer wieder seinen Namen. Dann verloren sie die Lust und redeten sich ein, er sei wohl nach Hause gegangen. Doch Zack war anderer Meinung. Kurz bevor alle weggerannt waren, um sich zu verstecken, hatte er ein listiges Blitzen in den Augen des Jungen gesehen - die aufflackernde Gewissheit, dass er seinen Häschern entkommen würde. Ihm ging es nicht nur um ein Spiel: Er hatte das perfekte Versteck gefunden … Nun, zumindest das, was ein Fünfjähriger für das perfekte Versteck hielt. Zack dachte eine Weile nach, dann fiel es ihm ein. Er ging die Straße hinunter, bis er das Haus eines alten Mannes erreichte, der sie immer anzubrüllen pflegte, wenn sie die Abkürzung durch seinen Garten nahmen. Tags zuvor war der Sperrmüll abgeholt worden, aber am Ende der Einfahrt lag noch ein alter Kühlschrank, den die Männer nicht mitgenommen hatten. Zack zog die Tür auf - und da war der Junge. Irgendwie war es dem Fünfjährigen in der Begeisterung gelungen, die schwere Kühlschranktür über sich
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